Manchmal vergisst man einfach genauer hinzuschauen, weil das Objekt immer da ist und sich aufdrängt. So ging es mir mit dem Videoclip von Fremia i Stelko (Zeit und Glas) mit dem Titel Imia 505 (Name 505).
Ich habe den Song tausendmal gehört, ohne ein einziges Mal auf die Idee zu kommen, nachzufragen, nachzusehen, nachzudenken. „Imia 505“ war einfach immer da. Bei meinen Besuchen in Moskau, war schon da früh morgens auf der Krim beim Frühstück im Hotel, auf Radio Russkij Berlin; immer ist dieses Lied da. Ich habe weggehört weil es so deutlich auffordernd immer da war. Immer! Auf der Strandpromenade in Jalta, in Sankt Petersburg hier und dort und überall, in Moskau quäkt es in jedem Einkaufszentrum aus jedem Lautsprecher. Mainstream eben, dachte ich. Nicht weiter wert, beachtet zu werden.
Es war Zufall, dass ich heute über das Video gestolpert bin. “Meine Güte, das ist ja völlig queer!” Es riss mich im wahrsten Sinne vom Hocker. 56 Millionen Klicks für einen queeren Song, das ist Russland! Das ist vor allem das Russland, von dem wir hier nichts wissen.
Und, ich höre schon den Einwand, ja, schon klar: Die Russen sind zu blöd, um zu verstehen, was hier gezeigt wird. Da braucht es deutsche Expertise! Die wissen gar nicht, was weißes Pulver auf einem Spiegel bedeutet, und androgyn gibt es eh nur in Berlin. Deutschland ist in seiner Meinung über andere oftmals unglaublich arrogant romantisch.