Da hockten wir nun, Miguel und ich, mit Popcorn bewaffnet, Miguel zudem die Fernbedienung in der Hand. Wir würden gleich den Nonplusultrafilm sehen, den Film, den man gesehen haben musste, weshalb Miguel überhaupt nicht verstehen konnte, dass ich ihn bisher verschmäht hatte. Eine Komödie, nein, eine Satire. Ganz toll jedenfalls, und auch ganz wichtig, um mehr von ihm und seinem Leben zu verstehen. “Der Teufel trägt Prada”, war der Titel, eine Hollywoodproduktion.
“Nun gut”, dachte ich, “so schlimm wird es trotz Hollywood schon nicht werden.” Von Zeit zu Zeit kann man sich sowas mal angucken. Meine letzte Hollywoodproduktion hatte ich 2009 gesehen. Das Machwerk hieß Avatar, war in 3-D und ich hatte einen halben netten Abend wegen des 3-D-Effekts. Die zweite Hälfte des Films war zwar auch in 3-D, mir aber zu martialisch und zu dümmlich heldisch. Ich fand den Film daher dann doch doof.
So, jetzt aber zurück zum Thema. Aufgepasst, es geht los: Der Teufel trägt Prada. Wie sich schnell herausstellte, handelt der Film von einer emotional verkümmerten Herausgeberin eines Modejournals, die sich auch durch diverse Lebensereignisse nicht von ihrem Emotional-Verkümmertsein abbringen lässt. Eigentlich nicht spannend, eher traurig und vor allem gar nicht komisch. Leider sind derartige Charaktere ziemlich flach, weshalb auch die Darstellerin der Modejournalherausgeberin Meryl Streep eben nur ganz flach rumschauspielert. Die kann eigentlich mehr, weshalb dann wohl auch die in der Romanvorlage nicht enthaltende Schlüsselszene in den Film implantiert wurde, in der unsere Modejournalherausgeberin die Nachricht erhält, dass ihr Mann sich scheiden lassen will, woraufhin Frau Streep einen Ansatz von Gefühl darstellen darf, womit ihre schauspielerischen Fertigkeiten zumindest in Ansätzen erkennbar werden. Den Rest des Films allerdings wackelt Frau Streep zwar sehr elegant gekleidet, dafür aber ihre Mitmenschen beständig verletzend und bleididgend, ansonsten aber emotionslos durchs Bild. Miguel findet derartiges Verhalten offensichtlich toll, denn er kriegte sich vor Lachen kaum noch ein. Ich finde Unmenschlichkeit allerdings ausgesprochen scheiße, was wohl das Gegenteil von komisch ist, und wurde immer stiller.
Eben kam eine schnell zusammen geschnittene Szene, in der die Modejournalherausgeberin, Miranda ist übrigens ihr Name, in der also Miranda jeden Morgen ihrer zweiten Assistentin ihren Mantel und ihre Handtasche grußlos auf den Schreibtisch knallt, damit diese beides ordentlich verräumt.
In der Sekunde, in der ich dachte, das hätte die blöde Ziege konsequenzlos keine zweimal mit mir gemacht, in dieser Sekunde wandte sich Miguel an mich und meinte mit Stolz, in seinem Friseursalon würde er jeden Morgen ebenso wie Miranda verfahren und seinen Angestellten statt eines “Guten Morgen” irgendwelche Anweisungen entgegenplärren.
Ich schluckte und entschloss mich, zunächst nur den Film ausgesprochen mies zu finden, konnte dann aber plötzlich zwischen Miranda und Miguel nur noch bedingt trennen. Ich jedenfalls hätte mir keine zweimal Tasche und Mantel auf den Schreibtisch knallen lassen, weder von Miguel noch Miranda. Spätestens nach dem zweiten Mal hätte es einen Termin beim Betriebsrat gegeben und Miranda oder Miguel hätten künftig, nachdem sie mich morgens freundlich gegrüßt und mich nach meinem Befinden gefragt hätten, ihren Mantel und ihre Tasche selbst verstaut. Im Gegenzug hätte ich ebenso freundlich einen Kaffee serviert. Hätte es keinen Betriebsrat gegeben, hätte ich einen gegründet. Ich bringe in dieser Hinsicht Erfahrung mit. Miranda oder auch Miguel wären dann mir gegenüber noch freundlicher geworden und das Betriebsklime in der Modejournalredaktion oder dem Friseursalon hätte sich innerhalb kürzester Zeit enorm verbessert. Ich bin ein Freund wechselseitiger Machtkontrolle und Gewaltenteilung. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft, hinter die wir auf keinen Fall zurückfallen dürfen. Denn das würde, siehe Miranda, der Barbarei Tor und Tür öffnen, auch wenn einen solchen Rückfall die Miguels und Mirandas dieser Welt gerne herbeiführen würden, damit sie ihre neofeudalen Gelüste endlich ungebremst ausleben können.
Miguel teilte meine Überlegungen zur Gewaltenteilung nicht. Im Gegenteil, meinte er, würde der Erfolg Miranda in ihrem Handeln Recht geben. Ich meinte, sie hätte vermutlich noch mehr Erfolg, wenn sie nicht derart asozial wäre, denn dann könnte sie das Potential ihrer Mitarbeiter besser nutzen, bevor die einfach innerlich kündigen. Ich hängte ein Beispiel eines Mitarbeiters aus Miguels Firseursalon an, bei dem ich genau das vermutete.
Einen derartig infamen Rückgriff auf Beispiele aus der Praxis verbat sich Miguel. Er erwiderte, er fände Miranda toll und vorbildlich.
Ich entgegnete, ich wüsste nicht, was an ungehobeltem, asozialen Verhalten Vorbildcharakter hätte.
Miguel: “Du bist nur neidisch auf den Erfolg.”
Das war ich in keiner Weise. Ich war eher etwas stolz auf mich, dass ich ein Theater um aufgepuschte Pseudobedeutungen wie Geld, Macht, tolle Frisuren oder Mode durchschauen konnte und ich mich entschieden hatte, derartigen Firlefanz weder inn- noch außerhalb der Mode- und Frisurenbranche mitzumachen.
Ich empfände Mirande eher erfolglos, sagte ich zu Miguel, denn sie sei offensichtlich menschlich total gescheitert. Im Gegenteil fände ich Menschen wie Miranda reichlich arm im Geiste, bedauernswert. Wahrscheinlich gibt es in einer solchen Psyche einen nicht zu unterschätzenden Hang zum Soziopathen, was eher behandelt als gefördert werden müsse, aber schon mal gar nicht als nachzuahmendes Beispiel herhalten könnte. Es wäre ja ein menschliches Defizit und nichts Gutes.
Warum ich alles mies machen müsste, wollte Miguel wissen.
Den Rest des Abends verbrachten wir schweigend. Ich habe jetzt wieder vier Jahre Zeit bis zur nächsten Hollywoodproduktion, der ich bange entgegensehe.