Jenseits der etablierten Buchverlage gibt es inzwischen einige Selfpublishing-Plattformen, auf denen vornehmlich junge und unbekannte Autoren ihre Werke veröffentlichen, ohne sich den Mühen und der Frustration unterziehen zu müssen, die mit der Verlagssuche einhergeht.
Auf einer solchen Plattform publizierte Simon Geraedts seinen dystopische Roman “Die Heilanstalt”. “Die Heilanstalt” ist ein ideenreiches Erstlingswerk mit Anklängen an H.G. Wells’ “Die Zeitmaschine”. Obwohl der Roman einige handwerkliche Mängel aufweist, ist die erzählte Geschichte ausnehmend spannend, was über Unstimmigkeiten hinwegträgt.
Nicht stimmig ist zum Beispiel der Ereignisreichtum im ersten Teil, der nicht mit der erzählten Zeit korrespondieren möchte. Innerhalb weniger Stunden entwickelt sich ein tiefgehendes und tragendes Liebesverhältnis bei den Protagonisten, wobei der männliche Held Patrick darüber hinaus noch eine schwere Suchtmittelabhängigkeit entwickelt und auch gleich wieder überwindet. Das ist ein bisschen viel für einen erzählten Zeitraum von anderthalb Tagen. Auch die aufwändigen und detaillierten Beschreibungen der Buffets in der titelgebenden “Heilanstalt” wirken deplaziert und haben etwas unfreiwillig Komisches. Warum da zum Beispiel ausgerechnet Spätzle rumstehen müssen, bleibt ein Rätsel, lässt aber eine als bedrohlich beschriebene Szenerie plötzlich zu piefiger schwäbischer Provinz zusammenschrumpfen, der jeder dystopische Schrecken fehlt. (Was nicht bedeutet, dass der schwäbischen Provinz kein Schrecken innewohnt, aber er ist gänzlich anderer Natur.) Ungeachtet dieser leicht zu korrigierenden Fehler entwickelt die Geschichte eine Sog, der zum Weiterlesen drängt.
Im zweiten, ganz düster gefärbten Teil des Romans, werden diese Fehler zudem weniger, ohne jedoch vollständig zu verschwinden. All diese handwerklichen Ungereimtheiten irritieren zwar immer mal wieder den Lesefluss, überlagern jedoch nicht das Spannende des Romans. Und das Spannende des Romans ist der sich im Verlauf der Erzählung hebende Vorhang, der den Blick frei gibt auf eine düstere Welt. Hier entfaltet sich im Erzählen der Entwurf einer dunklen, von einem mystischen Geistwesen beherrschten Erde, mit dem sich ein autokratisches Regime arrangiert hat. Die Protagonisten stehen dagegen auf, lehnen sich auf und suchen einen Weg aus der Unfreiheit, indem sie gegen ein Seelen verschlingendes Monstrum kämpfen, mit dem sich die Mächtigen in einem Status Quo eingerichtet haben. Gesellschaftskritik in Fantasy verpackt.
Der Autor Simon Geraedts hat zweifelsohne eine Begabung zum großen Fantasy-Roman, der getragen wird von fein ineinander verwobenen Ideen, deren zusammenhängende Bedeutung sich nach und nach erschließt. Man wünscht Simon Geraedts ein gutes Lektorat, das hilft, rein handwerkliche Fehler zu vermeiden. Dann steht der Anerkennung Geraedts durch ein breiteres Publikum nichts mehr im Wege.