Das zerrissene Land

In wenigen Wochen findet in Deutschland die vorgezogene Bundestagswahl statt. Die Ampel-Koalition ist im Streit über den Bundeshaushalt zerbrochen, Bundeskanzler Scholz hat die Vertrauensfrage gestellt und wie gewünscht verloren. Der Weg zu Neuwahlen ist frei.

Deutschland steht vor enormen Problemen, die das Potential haben, die deutsche Gesellschaft zu zerreißen. Die deutsche Wirtschaft liegt am Boden, die etablierten Parteien bekennen sich zur weiteren Unterstützung der Ukraine und wollen am Sanktionsregime gegen Russland festhalten. Gleichzeitig soll massiv in die Aufrüstung Deutschlands investiert werden. Das wird ohne massive Einschnitte, ohne das Absenken des Lebensstandards in Deutschland nicht möglich sein. Darüber müssen sich die Wähler im Klaren sein. Nach der Wahl wird massiv gekürzt.

Reichstag – Wiki Commons

Was in Deutschland bisher noch gar nicht thematisiert wird, ist der Umstand, dass der Westen den Krieg in der Ukraine verliert. Die USA werden sich aus dem Konflikt zurückziehen und ihn zu einem europäischen Problem machen,  mit dem sie nichts zu tun haben. An den Kosten für den Wiederaufbau werden sie sich nicht beteiligen. Diese Aufgabe haben die USA der EU zugedacht. Sie soll zu diesem Zweck die eigene Währung ruinieren und das eingefrorene russische Vermögen für den ukrainischen Wiederaufbau verwenden. Wenn es in Brüssel noch ein Minimum an Restverstand gibt, wird man von diesem Schritt absehen, denn ihm wohnt ein destruktives Potential inne, das sich gegen den Euro richtet. Die Frage, die sich dann stellt, ist aber, wer zahlt für die Ukraine?

Deutschland wird dabei die Hauptlast zu tragen haben, denn Deutschland ist mit seiner Unterstützungspolitik bei Ablehnung aller Diplomatie zentral verantwortlich für die umfassende Zerstörung der Ukraine. An diese Argumentation darf man sich in Deutschland ruhig schonmal gewöhnen. Den Deutschen wird erneut Hass entgegen schlagen – allen voran aus der Ukraine.

Dessen ungeachtet flüchten sich die etablierten Parteien in ein Weiter-so. Viel Hoffnung auf echte politische Veränderungen lag zuletzt auf den jungen Parteien BSW und AfD. Allerdings haben beide inzwischen gezeigt, dass auch sie im bereits Gewohnten steckenbleiben.

Das BSW wiederholt in Thüringen den Fehler, den Wählerwillen der Politik-Karriere Einzelner unterzuordnen. Trotz Bekenntnis zu einem „fairen Umgang mit der AfD“ stimmte das BSW dann im sächsischen Landtag gegen einen AfD-Antrag zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine – obwohl das BSW im Kern ähnliche Forderungen erhebt.

Zur Begründung hieß es, die AfD würde sich im Bund für höhere Rüstungsausgaben einsetzen. Konkret bedeutet das, dass das BSW gegen AfD-Anträge stimmt, weil die AfD in anderen Bereichen eine andere politische Auffassung vertritt als das BSW.

Es bleibt auch mit dem BSW in der deutschen Parteienlandschaft alles so wie es war. Lösungen werden verhindert, wenn der Lösungsvorschlag vom politischen Gegner gemacht wurde. Das BSW zementiert damit die herrschenden Verhältnisse.

Viel Zustimmung hat das BSW zudem durch eine Einlassung von Parteigründerin Sahra Wagenknecht eingebüßt. Wagenknecht biederte sich dem Mainstream und dem herrschenden Narrativ an. Sie nannte Putin einen Verbrecher. Über die Gründe für diesen Rückgriff auf primitiven Populismus lässt sich viel spekulieren, doch ganz unabhängig davon machen all die Vorgänge deutlich, dass das BSW als echte Alternative zu den etablierten Parteien ausfällt. Die Vertreter des BSW machen schlicht nichts anders. Die politischen Strategien des BSW kennt der aus eben diesem Grund Politik verdrossene Bundesbürger in und auswendig.

Die AfD macht es etwas anders, allerdings nicht besser. In einem Gespräch mit Elon Musk bekennt sich Alice Weidel zum kapitalistischen Libertarismus. Den Staat will sie massiv beschränken, freie Märkte und das Unternehmertum sollen zu Wohlstand führen. 

Ich lebe in Russland und ich kann allen Libertären in Deutschland versichern, die kapitalistische Schockstrategie unter Jelzin in den 90er Jahren möchten die Russen nicht wiederholen. Man erinnert sich im Gegenteil mit Schrecken an die Zeit. Der in Deutschland als autoritär geframte Putin genießt in Russland unter anderem deswegen so hohes Ansehen, weil er den rohkapitalistischen Durchmarsch und den damit verbundenen Ausverkauf Russlands beendet hat.

In Russland führte Jelzins Politik zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen, zu staatlichem Zerfall, zum Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung, zu einem enormen Ausmaß an Armut während auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums eine Oligarchenkaste entstand, die jenseits jeglicher demokratischer Legitimation aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht Politik steuerte. Von Hayeks feuchtester Traum wurde in Russland für eine historische Millisekunde schreckliche Wirklichkeit.

Wahnsinn ist ja bekanntlich, immer wieder das Gleiche zu tun, aber andere Ergebnisse zu erhoffen. In Deutschland wird der Rückbau des Staates und die Vorfahrt des Marktes kein im Kern anderes Resultat zu Tage fördern als es das in Russland getan hat. Überall dort, wo sich libertäre Ideen durchsetzen, ist das Ergebnis gleich: die Gesellschaft verarmt, Demokratie wird zurückgebaut, eine finanzstarke Elite bestimmt die Politik. Woher die AfD den Glauben nimmt, mit ihr werde es anders kommen und der Libertarismus werde die Deutschen zu Wohlstand führen, bleibt rätselhaft.

Der von Weidel und vielen AfD-Anhängern so verhasste Sozialismus, war historisch übrigens der Versuch eine Antwort auf die Tatsache zu formulieren, dass ungeregelter Kapitalismus ins Elend führt. Über die Richtigkeit der Antwort kann man streiten, über die zugrunde liegende Fragestellung jedoch nicht: wie lassen sich die zerstörerischen Effekte des Kapitalismus verhindern oder zumindest eingrenzen? In der Auseinandersetzung wird der historische Ablauf regelmäßig unterschlagen.  Die Vertreter der AfD greifen im Gegenteil zum Sozialismus-Bashing, so wie die Altparteien zum AfD-Bashing greifen. Wie den Grünen alles an der AfD Faschismus ist, so gilt der AfD jegliche Marktregelierung als Sozialismus. Beides ist in erschreckendem Ausmaß undifferenziert.

Ganz abgesehen davon, dass auch die AfD aufgrund ihrer ideologischen Ausrichtung nicht über das Potential verfügt, die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands zu lösen, teilt sie ein Defizit mit allen anderen Parteien. Sie ist nicht in der Lage Einheit zu stiften. Das machte zuletzt die Rede Weidels auf dem AfD-Parteitag deutlich, auf dem sie zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde. Sie will nicht einigen, sondern nur die Stoßrichtung umkehren, Windräder abreißen, Professoren entlassen, kurz ihr Ding durchziehen. Psychologisch ist dieses Sinnen auf Rache nach all dem AfD-Bashing der letzten Jahre verständlich, politisch klug und dem Land dienlich ist es nicht.

Auch mit wachsenden politischen Einfluss der AfD bleibt Deutschland ein gesellschaftlich tief zerrissenes, gespaltenes Land. Es mag sich die gesellschaftliche Windrichtung ändern, aber eine nationale Einheit, aus der heraus sich die fundamentalen Probleme Deutschlands lösen lassen, wird die AfD ebenso wenig schmieden können, wie es die etablierten Parteien konnten. Die AfD verfügt ebenso wenig wie alle anderen Parteien über eine die Deutschen einende Idee. 

Konkret heißt das, man kann am 23. Februar erneut aus einer großen Zahl an Parteien diejenige auswählen, die den eigenen Geschmack am besten bedient. Aber tatsächliche gesellschaftliche Veränderung ist in Deutschland weiterhin nicht wählbar. Das Konzept eines in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit geeinten Volkes, dem Politik zu dienen hat, hat schlicht keine der zur Wahl stehenden Parteien im Programm. Die Parteien setzen im Gegenteil weiter auf gesellschaftliche  Fragmentierung. Es bleibt in Deutschland daher auch nach der Wahl alles wie es ist.

Ein Kommentar zu „Das zerrissene Land

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