Der postdemokratische Präsident

Diesen Artikel wollte ich eigentlich überschreiben mit “Fachkräftemangel in Deutschland” und ihn dann polemisch zuspitzen im Hinblick auf die Inkompetenz, die offensichtlich in hohen politischen Ämtern grassiert, auch auf die hohe Fluktuation im Amt der BundespräsidentInnenin den letzten Jahren und die offensichtliche Unfähigkeit, eine dem Amt entsprechende Persönlichkeit zu finden, welche die Position auszufüllen in der Lage wäre. Jedoch finde ich eine ironisierende Auseinandersetzung in Anbetracht der Vorgänge vom Wochenende nicht mehr angemessen.
Meine ganz unironisch und nicht zugespitzte These lautet daher: Gauck ist ein Skandal! Gauck ist als Präsdident nicht in der Lage, einen demokratischen Staat, eine demokratische Verfassung zu repräsentieren, denn er ist an der Wurzel seines Denkens undemokratisch.
Ich gebe zu, ich war immer skeptisch gegenüber diesem Präsidenten, der sich selbst zum Freiheitskämpfer in einem unterdrückenden Staat stilisiert, wofür es nur wenige und nur sehr fragwürdige Beweise gibt. Ich gebe zu, schon lange vor seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ich skeptisch und hielt ihn für einen Militaristen. Zu deutlich ist mir der Brückenschlag zu feudalistischen Strukturen bei der Grundsteinlegung des Berliner Stadtschlosses, zu offensichtlich die Eliminierung der Idee der Solidarität zugunsten der Kräfte des Marktes.
Zu fragwürdig ist mir Gaucks Begriff der Freiheit, über den er so gerne schwadroniert.  Seine Idee der Freiheit scheint mir das Gegenteil von meiner. Seine legitimiert Untertanentum, keine freien Geister. Es ist deutlich zu wenig Freiheit ihn Gaucks Begriff der Freiheit enthalten. Gaucks Freiheitsbegriff lässt sich aus den ganz vielen rhetorisch aufgeblähten Reden seiner Amtszeit mit wenigen Worten zusammenfassen: Freiheit besteht für Gauck darin, zu erkennen, dass wir nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der besten aller möglichen Welten leben. Diese beste aller Welten ist marktorientiert. Unsere Freiheit besteht ausschließlich darin, dieses Faktum anzuerkennen, es immer wieder zu benennen, zu loben und unsere je individuelle Chance darin zu sehen.
Menschen, die dies bezweifeln, die Solidarität einfordern, die über eine Ordnung nach dem Kapitalismus nachdenken, Menschen, die das herrschende System kritisieren, nach Alternativen suchen, sind für Gauck Störer, lästig, albern.
Gaucks Freiheitsbegriff umfasst die Freiheit des Untertans, nicht der des Bürgers. Seine Freiheit ist nicht demokratisch verfasst. Gauck ist ein durch und durch postdemokratischer Präsident.
Spätestens seit seinen Äußerungen zu einem möglichen Linken Ministerpräsidenten in Thüringen ist das offensichtlich. “Naja, Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren. Aber wir sind in einer Demokratie.” 2
Ich muss sagen, als Atheist, der im Kapitalismus geboren wurde, muss ich mich ganz schön anstrengen, einen durch und durch neoliberalen Pfarrer als Präsidenten zu akzeptieren, der die Demokratie zugrunde richtet, indem er die vermeintlichen Vorzüge der kapitalistischen Ausbeutung preist, der er in seinem persönlichen Leben noch nie ausgesetzt war.
Und ich durfte ihn nicht mal aktiv nicht wählen, ich konnte ihm nicht einmal meine Stimme verweigern. Ihn wählte die Bundesversammlung, eine Zusammenkunft aus merkwürdigen Protagonisten. Das ist ein weiterer Skandal an diesem Präsidenten. Die Steuerhinterzieherin Alice Schwarzer durfte ihn auf Geheiß der CDU wählen, ich durfte das nicht. Ich muss mich aber von ihm repräsentieren lassen, obwohl er genau das nicht tut. Für den Zustand unserer Republik erscheint mir dies in erschreckender Weise bezeichnend.
Gauck verachtet den Protest, die Suche nach Alternativen und den Kompromiss. Deutlicher: Gauck verachtet die Kernelemente demokratischer, freiheitlicher  Prozesse. Gauck glaubt sich angekommen; angekommen in der besten aller Welten, im Hier und Jetzt des Neoliberalismus. Als persönliche Haltung ist das erlaubt, als biographischer Eintrag ist das rührend schön. Als Haltung eines Staatsoberhauptes eines demokratischen Staates ist das jedoch unadäquat, es ist verfehlt. Denn Demokratie bedeutet Entwicklung aufgrund von offener Diskussion. Diese Offenheit  jedoch erschreckt Gauck, er fürchtet sie. Fortschritt, Fortschreiten, hinter sich lassen, Veränderung und Entwicklung gestalten, all das, was demokratische Prozesse kennzeichnet, ist nichts für diesen Präsidenten. Hingegen ist der Totalitarismus des Marktes seine Religion die er missionarisch uns allen anempfiehlt.
Er ist ein durch und durch postdemokratischer Präsident. Nichts  markiert die Rückkehr des Biedermeier in die Politik besser als der Name Gauck.

1.Ja, es stimmt, das Amt der BundespräsidentIn  wurde doch noch nie von einer Frau bekleidet, was durch die Schreibweise des Binnen-I ins Auge fällt. Auch noch nie von einem Menschen mit Migrationshintergrund übrigens, wie auch das Amt der BundeskanzlerIn. Doch wie setzt man den Hinweis auf ein solches Defizit schriftsetzerisch um? Soll man ein „Hoşgeldiniz“ dahinter setzen, um auf den Missstand aufmerksam zu machen? Dadurch würden die Worte dann aber sehr lang. Dennoch ist er ja da, der Mangel an migrantischer Repräsentation. 

2 Kommentare zu „Der postdemokratische Präsident

  1. Meine streckenweise schwache Begriffssicherheit bringt es mit sich, dass ich mit „post“-Zusammensetzungen wenig anfangen kann. Interesse für die Person G. ist aber notgedrungen vorhanden. Mir scheint es erforderlich, die Relation Gauck-Faschismus in den Blick zu nehmen. In meinem Blog habe ich das z. B. hier: http://opablog.net/2014/06/23/untertan-gauck/
    sowie an anderer Stelle versucht.
    Dies als Ergänzung, nicht als Kritik Ihrer Würdigung der Person G.

  2. Was mich stets auf’s Neue niederzuschmettern droht, das ist weniger die (treffend beschriebene) Haltung Gaucks und ihr gesellschaftlicher Stellenwert aufgrund seines Amtes, sondern schlicht und ergreifend die Tatsache, daß wir, die wir diese Post-Demokratie aufrechterhalten, es uns offensichtlich nicht wert sind unsere Haltung wirksam zu verteidigen und repräsentieren zu lassen. Wie sonst ist die Ohnmacht aller Oppositionen zu erklären, wenn nicht durch das Ohnmachtsgefühl jedes Einzelnen? Entweder sind wirklich alle demokratisch legitimen Wege der politischen Gestaltung verstellt und abgeschafft (was ich nicht glaube), oder wir sind – das soll kein Angriff sein – zu satt, verängstigt und feige, um uns zu wehren. Gauck ist ein Symptom, nicht eine Ursache…

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