Die Nummer, die auf dem Display erschien, kam ihm bekannt vor, auch wenn sie offensichtlich nicht in seinem Adressbuch mit einem Namen verknüpft war. Er rätselte einen Moment, nahm dann aber das Gespräch an. Doch noch bevor sich sein Gesprächspartner meldete, schoss es ihm mit der Gewalt eines Blitzschlags ins Bewusstsein, wessen Nummer das war. Sein Herz begann zu rasen, Schweiß trat Javier auf die Stirn.
Er wollte sich nur mal wieder in Erinnerung bringen, sagte sein Gesprächspartner. Er hätte jetzt schon so lange nichts mehr von Javier gehört, bedauerte die Stimme am anderen Ende. Ob er denn wieder mal was brauchen könnte, fragte er Javier. Er könne gerade ganz gute Konditionen und qualitativ herausragende Ware anbieten, wurde Javier unterrichtet.
Javier kam ins Reden, ins Rechtfertigen, sagte es täte ihm leid, dann aber auch wieder nicht, weil es ihm jetzt viel besser ginge. Er lachte überdeutlich, fast schon hysterisch. Javier erzählte was von Abstinenz und den zwölf Schritten, von Bill und den Anonymen Alkoholikern, behauptete ein anderer Mensch geworden zu sein. Seine Hände schwitzten so sehr, sein Telefon wäre ihm fast aus der Hand gerutscht.
Sein Gesprächspartner schloss daraus, Javier würde wohl nichts brauchen. Er würde sich einfach demnächst wieder unverbindlich melden, sagte er, und war schon dabei das Gespräch zu beenden.
Die Erleichterung darüber stimmte Javier ganz milde. Ein Gefühl, das sich beinahe wie Freundschaft anfühlte, verband ihn plötzlich mit der Stimme, die ihn mit seiner Vergangenheit als omnipräsenter Macher der Kunstszene zusammenbrachte.
Er würde ihm einfach ein bisschen etwas abkaufen, als Zeichen der Verbundenheit, nicht, weil er etwas nehmen wollte, dachte Javier bei sich. Er fing an nach einzelnen Substanzen zu fragen, nach Kokain und MDMA. Er fragte nach Benzodiazepinen, interessierte sich für den Preis und schließlich hatte er von allem eine gute Menge für sich geordert. Javiers Gesprächspartner schlug vor, in zwei Stunden zur Übergabe in die Galerie zu kommen.
Javier dachte sofort an Hannes Knecht und wie kompliziert es werden würde, ihm zu erklären, dass er lediglich aus einem Gefühl der Freundschaft und des Mitleids für den Dealer Drogen gekauft hatte, Javier sie aber selbstverständlich niemals nehmen würde. Er schlug daher seine Wohnung als Übergabeort vor, womit der andere einverstanden war.
Als er das Gespräch beendet hatte, fiel ihm ein, heute war doch Johanna, seine Putzhilfe in der Wohnung. Er nahm seine Jacke, unterrichtete Hannes Knecht darüber, dass er dringend weg müsse. Der fragte nach, ob es ihm nicht gut ginge, was Javier verneinte. Javier verließ fluchtartig die Galerie und ließ Hannes Knecht verdutzt zurück.
Er rief Johanna an, gab ihr zwanzig Minuten, um die Wohnung zu verlassen, zog einen enormen Geldbetrag am nächsten Automaten, und winkte anschließend ein Taxi heran.
Er würde das Zeug einfach alles ins Klo kippen, nahm er sich auf der Rückbank des Taxis sitzend vor. Er war sich ganz sicher, er würde es ins Klo kippen. Javier stand der Schweiß auf der Stirn, seine Hände zitterten. Etwas in ihm kämpfte heftig: Vorfreude, Ablehnung, Ekel, Ekstase. Völlige Zerrissenheit.