Die Übergabe verlief schnell und reibungslos. Javiers Dealer drückte seine Freude über ihr Wiedersehen aus, und hoffte, auch künftig wieder regelmäßig etwas für Javier tun zu dürfen.
Javier schaffte es, das Angebot einer angebotenen gemeinsamen Gratisverkostung von etwas Kokain auszuschlagen. Wieder trat Schweiß auf seine Stirn. Er lachte viel zu laut, wedelte viel zu heftig, fast schon hysterisch mit den Händen. Der Handel wurde schließlich abgeschlossen, Javier überreichte das Geld, viel mehr, als vereinbart worden war. Javiers Dealer umarmte ihn herzlich, klopfte ihm dabei auf die Schulter und bedankete sich. Ein dufter Kerl sei Javier, voll korrekt!
Javier lachte. Er lachte über seinen inneren Zusammenbruch hinweg, der gerade stattfand. Als der andere gegangen war, lehnte er mit dem Rücken an der Tür, sank zu Boden und drückte die Hände an sein Gesicht, als sollten sie in den geöffneten Handflächen einen Abdruck hinterlassen.
Er atmete heftig. Seine Brust hob und senkte sich in schnellem Takt. Schließlich schaffte er es, sich zu erheben. Auf dem Tisch lag ein ganzer Haufen unterschiedlicher Drogen. Manche waren in kleine Plastiktütchen verpackt. Andere waren in Blister abgefüllt, wie sie jeder aus der Apotheke kennt, andere sahen aus wie kleine Kugeln mit weißem und braunem Inhalt in Folie. Auch zwei Flaschen mit einer Flüssigkeit standen da. Javier nahm sich vor, jetzt! jetzt sofort alles, wirklich alles! in der Toilette herunterzuspülen. Es war ihm ein Grauen, all das Zeug im Haus zu haben. Er ging auf den Tisch zu, versuchte eins der Tütchen zu nehmen, doch seine Finger zitterten. Wäre Javier in der Lage gewesen, zu weinen, er hätte es jetzt getan.
So ging es nicht, wurde ihm klar. So konnte es nicht gehen. Er musste runterkommen. Irgendwie musste er herausfinden aus dieser Erregung und wieder Boden unter die Füße bekommen. Doch all das, was ihn rausführen würde aus der Anspannung, lag gerade vor ihm und war ihm vom ihm selbst verwehrt worden.
Er überlegte lange, was er tun sollte. Er könnte seinen Sponsor bei der Selbsthilfegruppe anrufen. Doch Javier hatte sich da schon so lange nicht mehr sehen lassen. Es war ihm immer so klar gewesen, wie wenig er diese Gruppe brauchte, all diese herunterziehenden Loser. Die letzten Male, als er von seinem Sponsor angerufen wurde, hatte er ihn recht barsch abgewimmelt. Er hatte ihm gesagt, er hätte im Moment wenig Zeit, wäre aber dankbar für den Rückhalt und würde sich melden, für den Fall, dass er Unterstützung bräuchte. Er hätte ja seine Nummer. Genau jetzt war dieser Moment. Genau jetzt fühlte Javier eine Scham, die Verbot, diesen Schritt zu tun.
Er überlegte seine Therapeutin anzurufen. Aber wie würde das bei ihr ankommen? Er hatte immer beteuert, wie gut es ihm ginge. Wie wenig er noch auf die Therapie angewiesen sei. Alles sei in bester Ordnung, bis sie schließlich eingewilligt hatte, die Sitzungen mit Javier auslaufen zu lassen. Es wäre wie ein Eingestehen von Schwäche, jetzt zum Hörer zu greifen und ihre Nummer zu wählen. Javier verwarf den Gedanken.
In der Klinik anrufen, in der er den Entzug gemacht hatte. Da war doch jetzt ganz früh am Morgen. auch das verwarf Javier. Plötzlich traf ihn mit der Gewalt eines Blitzschlags eine Idee.
Er würde auf keinen Fall eine dieser vor ihm liegenden Substanzen anrühren. Da war er sich sicher. Aber er würde rüber zum Spätkauf gehen. Er würde nur ein Bier kaufen. Nur eins! Das würde er trinken. Es würde ihn so weit beruhigen, dass er all die Drogen vernichten könnte, die jetzt auf seinem Tisch lagen. Ja! Das war der Schlüssel. Das war der Weg es zu tun.
Javier griff nach dem Schlüssel, warf einen Blick auf ein Bild von Daniel Mersiowsky, das sehr präsent im Entree hing, ging aus der Tür, überquerte die mit Bäumen gesäumte Straße. Kurz darauf hielt er eine Flasche Bier in der zitternden Hand. In seiner Küche kramte er in der Schublade nach einem Flaschenöffner. Das Zischen des Kronkorkens beim Öffnen klang vertraut. Javier nahm einen ersten Schluck. Es schmeckte widerlich.