Im März war es, als ich hier einen Artikel mit dem Titel „Die deutsche Bürde“ eingestellt habe. Ich mache mich darin ein bisschen über eine Britin lustig, die mich fragte, wie es sei, mit dieser deutschen Bürde, dieser historischen Schuld zu leben. Irgendwie wichtige Frage, aber manchmal auch irgendwie deplaziert.
Allerdings bekommt die Frage nach der deutschen Bürde und einer sich mit aller größter Wahrscheinlichkeit als historisch erweisenden neuen deutschen Schuld in diesen Tagen einen neuen, ganz aktuellen Aspekt.
Ich war jetzt einige Tage in Athen, das, allen, die geographisch nicht ganz auf der Höhe sind, sei hier nachgeholfen, in Griechenland liegt. Griechenland gehört irgendwie zu Europa und daher auch zur EU. Betrachtet man es unter geistesgeschichtlichen Aspekten, könnte man auch sagen, Europa gehört irgendwie zu Griechenland. Für welche Sichtweise man sich hier entscheidet, hat weitreichende Konsequenzen, aber das hier nur ganz am Rande.
Wie dem auch sei, ich war nicht allein und wir hatten zwei Tage Zeit, um einige Museen zu besichtigen, um dann am dritten Tag, das war der eigentliche Grund der Reise, auf der Ausstellungseröffnung der DESTE-Foundation mit anschließendem Empfang Präsenz zu zeigen. Ich war etwas weniger unter Präsenzdruck, denn ich hatte mehr den Status der schmückenden Begleitung, meine mich schmückende Begleitung drückte es um so mehr, denn er ist im Kreis des Sammlers hochgeschätzt. Auf unserem Kurztrip ging es also im wesentlichen um Kunst.
Drei Tage also, in denen wir uns in Athen zwischen den Museen, Ausstellungen und zahllosen Kunstwerken hin und her bewegten. Bei dieser Hin- und Herbewegung fiel mir neben der außergewöhnlichen Werke der schon geschriebenen und der noch zu schreibenden Kunstgeschichten der unglaubliche Leerstand bei Gewerbeimmobilien ins Auge, denn wir legten die Wege von Austellung zu Ausstellung und Museum zu Museum zu Fuß zurück. In einigen Gegenden Athens scheint nahezu jedes zweite Geschäft vor noch nicht allzu langer Zeit pleite gegangen zu sein. Eine unglaubliche Tristesse erfüllt Gassen, Straßen und Plätze. In den Geschäften mehr Verkäufer als Kunden. Auf der Straße schlecht getarnte Bettelei: Musikanten und Blumenverkäufer zu Hauf.
Ich habe viel über die Krise gelesen, aber das, was ich gesehen habe, hat mich tief schockiert. Da verschlägt es mir vor tatsächlich gefühlter Betroffenheit und Wut jede Form der Ironie. Hier leiden Menschen wegen dümmlichem ideologischen deutschen Sparterror, der Europa von dümmlichen deutschen Politikern und sogenannten „Experten“, Ideologen und Demagogen wären bessere Namen, aufgezwungen wird.
Man müsste sie zur Rechenschaft zwingen können. man müsste sie zur Verantwortung zwingen können. Man müsste zu Frau Merkel sagen können: Sehen Sie, das haben Sie zu verantworten. Sie haben das entschieden, aus Machtkalkül und gegen besseres Wissen, aus reiner, menschenverachtender Ideologie. Und man müsste die Akteure der Austeritätspolitik für ihre, das Wohl der Europäer verachtenden Taten bestrafen und ins Gefängnis stecken können. Marktkonforme Demokratie – das ich nicht lache! Es ist das absichtlich herbei geführte Ende der Demokratie, sie dem Markt aussetzen zu wollen.
Am dritten Abend dann waren wir auf besagtem Empfang bei Dakis Joannou anlässich der Eröffnung der Ausstellung „The System of Ojects“. Ich wurde vorgestellt, als Deutscher erkannt und mehrfach in Gespräche über die deutsche Europa- und Außenpoltik verwickelt. Ich habe mich so geschämt.
Zum dritten Mal in einhundert Jahren geht von Deutschland eine Gefahr für Europa aus. Zum dritten Mal ist Deutschland die Ursache für Leiden und Niedergang. Da kann man wirklich stolz auf seine Herkunft sein. Ja, ich fühlte sie, die deutsche Bürde. Es fühlte sich zutiefst scheiße an, ein Stigma. Zum dritten Mal in einhundert Jahren richtet Deutschland Europa zugrunde. Diesmal ohne Krieg, die Massenvernichtungswaffen sind Banken statt in Bomben. Welch zivilisatorische Errungenschaft.