Die 37. Tage der deutschsprachigen Literatur sind vorbei. Die Preisträgerin steht fest, die Literatrukritik hat ihre Fratze vorgezeigt. Sie hatte wieder reichlich bizarre Züge, wie sich das für eine Fratze so gehört, aber sie war nicht wirklich grausam. Nicht in diesem Jahr. Das war auch schon mal anders.
Natürlich ist es absurd, Literatur einem Wettstreit sich unterziehen zu lassen. Genauso absurd wie es ist, sich Malerei, Musik, alle Künste, alles Ersonnene in einem Vergleich zu prüfen, um jeweils eines davon auszuwählen, es mit dem Prädikat des Auserwähltwordenseins zu versehen. Natürlich ist das absurd, denn man erkennt in einem solchen Vergleich vielleicht noch das Schlechte, aber ob man durch Vergleich das wirklich Gute findet, ist mehr als nur zu beweifeln. Läuft es wirklich gut in solch einem Wettstreit, findet sich lediglich ein Kompromiss auf das Gute hin. Vielleicht! Aber auch nur vielleicht und auch nur in einer idealen Konstellation, in der besten aller Wettstreitwelten. Aber das Singuläre zu erfassen, das Herausragende, das Einzigartige, das ist in einem Wettstreit nicht zu ermitteln. Es ist ein Widerspruch in sich, es ist absurd.
Die Kriterien sind nicht klar und auch nicht zu klären. Literatur ist zu komplex, Es ist nicht wie im Sport, der vom Wettstreit lebt. Dort sind die Kriterien klar, messbar, meist hinreichend für eine Wertung. Geringere Zeit, beide Schultern auf dem Boden, Ball an einem bestimmten Ort. Gewonnen. Literatur fehlt dieses Einfache, es ist im Gegenteil ihr zentrales Moment, sich der Vereinfachung zu widersetzen. Es ist absurd, sie zur Einfachheit, zur genauen Bestimmung auf ein Bestes hin zwingen zu wollen. Es ist ihr Bestes, dass sie sich dem verweigert. Es ist absurd einen Literaturwettstreit abzuhalten. Es müsste allen Beteiligten klar sein, in welcher absurden Situation sie sich befinden.
In seiner Klagenfurter Rede erinnerte Michael Köhlmeier an das Absurde der Veranstaltung, an die permanente Verfehlung ihres Zwecks, gute Literatur zu ermitteln. Er erinnert an den unsäglichen Marcel Reich-Ranicki, ich hatte ihn schon fast vergessen, und seine idiotischen Statements zur Literatur, seine Selbstüberschätzung und die damit einhergehende Überheblichkeit. Köhlmeier erinnerte mich an meine Meinung über diese Parodie eines Kritikers, dessen Anwesenheit automatisch aus allem eine absurde Veranstaltung machte. Jedes Mal, wenn Reich-Ranicki Literatur sagte, trug sie Würgemale davon. Und sie wehrte sich viel zu selten. Aber ich schweife ab. Zurück nach Klagenfurt.
Dieses Jahr mochte ich besonders das Videoportrait von Veronika Güntner. Sehr erotisch! Den Text von Benjamin Maack mochte ich und den von Heinz Helle. Benjamin Maack sah besser aus, dafür ging es bei Heinz Helle um Sex, Beziehung, Kiffen und Abtreibung. Das hatt mehr Thrill. Bei Benjamin Maack ging es um Krabbelkäfer und um eine ganz vorläufige Andeutung sexuellen Erwachens. Schön gemacht, einfühlsam. Generell scheint das Thema Übergang von Kind zum sexuell Erwachenden ziemlich in Mode zu sein. Auktoriale Erzähler sind nach wie vor out. Warum eigentlich? Dafür gilt: Innenperspektive, Innenperspektive, Innenperspektive. Rumgestocher im Protagonistenselbst bis die Eingeweide bersten. Mir persönlich ist das manchmal zu ermüdend. Und nur weil es nahezu automatisch eine gewisse Schwere hat, ist es deshalb noch nicht zwangsläufig von Gewicht.
Den Text von Katja Petrowskaja hatte ich in zahllosen Variationen von unterschiedlichsten Autoren schon gehört. Trotzdem hat sie gewonnen. Das fand ich komisch. Allerdings scheint sie gut vernetzt zu sein. Hat eine Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und … Moment .. schreibselt da nicht auch Marcel Reich-Ranicki vor sich hin? Naja, irgendwie hat das dann schon ein Gschmäckle. Der Preis sei ihr trotzdem gegönnt, auch wenn ich den Text langweilig, ihre Sprachfiguren schräg und das Spiel um Erinnern, Vergessen und Ichkonstruktion pseudophilosphisch blöd fand. Sind nur 25.000 Euro, damit kommt man nicht weit, vielleicht gerade mal so übers Jahr. Benjamin Maack hätte ich es jedoch irgendwie mehr gegönnt.
Ich hätte auch für ihn angerufen oder eine SMS geschickt, wie er das in seinem Videoportrait gewüscht hatte. Generell wäre das eine gute Idee. Publikumsbeteiligung. Und weiter: Ein Lifting der Veranstaltung. Und ganz wichtig: Eine gewisse Form der Unernsthaftigkeit, mehr Spiel mit der Absurdität, die in der Veranstaltung liegt. Spaß! Literatur macht Spaß. Das gerät bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur gerne mal aus dem Blick. Da ist alles schwer. Spielerisches gäbe dem ganzen einen gewissen Sexappeal, eine Zärtlichkeit des Literarischen und der ORF würde sich dann vermutlich auch nicht mehr überlegen, ob er mit der Übertragung des Wettstreits Geld zum Fenster hinaus wirft. Die Veranstaltung würde durch eine tatsächliche Lust zur Literatur vermutlich auch nicht schlechter, im Gegenteil, es wäre eine Öffnung auf das Vielfältige hin.
Lesen und Schreiben ist lustvolle Welterschließlung. Die Tage der deuschsprachigen Literatur vermitteln das nicht, im Gegenteil züchten sie das Image des weltabgewandten Büchernerds. Ein Literaturwettstreit – wie absurd! Spielt endlich damit!