Kanzlerin Merkel tut seit einigen Tagen etwas für sie sehr Ungewöhnliches, sie setzt Zeichen und spricht eine deutliche Sprache. Diese Zeichen weisen immer eindeutiger in Richtung Krieg gegen Russland. Unterhalb des Militärischen hat dieser Krieg längst begonnen. Die Sanktionen hier wie dort sind dafür ebenso Beleg wie ein plötzlich rapide fallender Ölpreis bei nahezu gleichzeitiger Herabstufung der Bonität Russlands durch amerikanische Ratingagenturen.
Es tobt die schiere Aggression, allein die Panzer rollen noch nicht, wobei wir genau darauf vom Bundespräsidenten und den Mainstreammedien eingestimmt werden. Es sind schreckliche Zeiten der Geschichtsvergessenheit.
Und dennoch: Nehmen wir einmal an, es kommt nicht zum Äußersten. Wir nehmen an, wir, der Westen, gewinnen diesen Konflikt unterhalb einer nuklearen Auseinandersetzung, unter Einsatz von beschränkten militärischen Mitteln mit lediglich einigen zehntausenden Toten. Wie sieht dieser Gewinn aus? Was wäre ein Sieg?
Als Sieg ließe sich zweifellos verkaufen, dass die russisches Regierung samt Putin zurücktritt, einem US-hörigen Marionettenregime Platz macht, eine Figur wie Boris Jelzin oder Jazenjuk als Präsident installiert wird, der die Krim an die Ukraine zurückgibt und die russischen Öl- und Gasvorkommen weit unter Wert an Exxon mobil und Halliburton verkauft. Das Staatseigentum wird verscherbelt, die neoliberale Doktrin wird in Russland durchgesetzt, das dementsprechend erneut ins Chaos stürzt. Weite Teile der Bevölkerung verarmen, wie es schon in der Folge des Untergangs der Sowjetunion der Fall war.
Wir nehmen weiter an: Der Bürgerkrieg in der Ukraine ist vorüber, die Ukraine wird Mitglied der NATO, es werden dort Militärbasen installiert (Wozu eigentlich noch? Wenn der Plan aufgeht, ist Russland eh am Ende.) Die Ukraine, ein zerrüttetes, bankrottes Land, befriedet, aber nicht friedlich, ist bestrebt, in die EU aufgenommen zu werden.
Was wäre dann? Was wäre dann gewonnen? Für Europa, für Russland und die Ukraine, vor allem aber für die Menschen hier wie dort?
Der bankrotten Ukraine würde Frau Merkel die Prinzipien der Austeritätspolitik erklären und dabei mit dem Finger auf Griechenland deuten. Wenn wir den Griechen nicht solidarisch zur Seite stehen, dann der Ukraine mit Sicherheit erst recht nicht. Merkel würde Strukturreformen anmahnen und damit gravierende Rentenkürzungen, Einschnitte ins Sozialsystem, Absenkung der Löhne und Steuererleichterungen für die Oligarchen meinen. Und sie würde die Ukraine wie auch den Rest Europas dazu zwingen, jeder vernünftigen Wirtschaftspolitik per Schuldenbremse einen eisernen Riegel vorzuschieben. Die ohnehin schon zahlungsunfähige Ukraine würde durch die Austeritätspolitik völlig verelenden, sich vermutlich tief enttäuscht von Europa ab- und einem immer kruderen Nationalismus zuwenden.
Der russische Markt würde für Europa wegbrechen, was wiederum Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung Europas hätte.
Wir würden unsere Energie aus den Händen amerikanischer Unternehmen beziehen, die vermutlich weit weniger Skrupel hätten, ihre marktbeherrschende Stellung auszunutzen, als dies ein russischer Staatskonzern bisher hatte, und europäische Interessen gegen beispielsweise chinesische ausspielen.
Man kann hier schon aufhören, man muss es nicht bis in den letzten Kasus durchdeklinieren, es ist nach wenigen Überlegungen schon evident: Dieser heraufziehende Krieg, den Frau Merkel in den letzten Tagen so ungewohnt frenetisch befeuert, ist jetzt schon verloren. Er kann gar nicht gewonnen werden, niemand wird als Sieger hervorgehen, denn zu verflochten sind unsere Beziehungen in Europa.
Daher sollte sich jeder, der sich von der russophoben Propaganda und der medialen Wut hat anstecken lassen, sollte sich jeder, der diese Bereitschaft fühlt, es Putin und den Russen mal richtig zu zeigen, fragen, welchen Preis er bereit wäre zu zahlen, ganz konkret. Einen Euro? Das wären dann 80 Mio, wenn jeder Einwohner Deutschlands dazu bereit wäre. Das ist ein bisschen wenig für einen eindrucksvollen Militäreinsatz. Zehn Euro pro Haushaltsmitglied monatlich? Das wären 800 Millionen Euro. Auch noch ein bisschen wenig für so eine richtige militärische Putindresche. Richtig eklatante Einschnitte im Gehalt? Wie viel denn? Zehn Prozent? Zwanzig? Alles? Den Arbeitsplatz? Auf Urlaub und Mobilität verzichten? Luxuspreise für ein warmes Wohnzimmer? Das Leben eines Verwandten? Das eigene? Krieg ist teuer!
Einen ganz konkreten Preis wird dieser Konflikt für jeden von uns haben. Wir können sicher sein, Frau Merkel und Herr Gauck werden keine Scham fühlen, uns die Rechnung zu präsentieren, egal wie hoch sie ausfällt. Und du kannst sicher sein, es wird dich treffen. Massiv! Wir alle, jeder von uns wird für die Aggression bezahlen müssen, die da in unserem Namen stattfindet. Und je länger der Konflikt dauert und je intensiver er geführt wird, desto höher wird der Preis. Aber einen Sieger wird es am Ende nicht geben. Wir werden alle Verlierer sein; das ganze Europa vom Atlantik bis an den Ural.
Ein Kommentar zu „Merkels verlorener Krieg“