Von Esten und Letten, Su- und Präfixen sowie Schmerzen im Arsch

Es ist schon einige Zeit her, da saß ich mit einigen russischen Freunden zu Gast bei Tisch. Wir waren von Letten eingeladen worden. Letten, das mag nicht jedem sofort geläufig sein, sind Menschen aus Lettland, einem Mitgliedsland der EU. Das nicht jeder das auf Anhieb weiß, ist verständlich, denn Lettland ist sehr klein. Ähnlich klein wie zum Beispiel Estland, das auch Mitglied der EU ist. Seine Bewohner heißen Esten.  

Jedenfalls gab es zu Essen und zu Trinken, die Letten tischten Wodka und anderen Alkohol auf, es gab Salate und Platten mit Häppchen. Es war fast wie in Russland aber eben doch anders. Wir unterhielten uns auf Russisch, kamen dabei aber auf die lettische Sprache zu sprechen. Wenn ich es recht in Erinnerung habe, ändern sich im Lettischen die Su- und Präfixe in Abhängigkeit vom Familienstand. Die nicht lettisch-sprachigen Teilnehmer der Runde wurden aufgefordert das jetzt mal durchzudeklinieren und man machte es natürlich auf Anhieb falsch, was für Erheiterung bei den Muttersprachlern sorgte.

Es hat vermutlich ähnlichen Unterhaltungswert wie Neuankömmlinge in der deutschen Sprache erstmal “Fischers Fritz” aufsagen zu lassen. So etwas motiviert ungemein zum Spracherwerb.

Nun gut. Die Nichtmuttersprachler hatten sich in der lettischen Runde jetzt alle einmal auf Aufforderung zum Deppen gemacht, dabei hätte man es belassen können, doch es ging immer noch weiter. Mir wurde langweilig, denn obwohl ich eine große Faszination für Sprachen besitze, halte ich von derartigen Formen des Spontanunterrichts durch Freizeitdozenten nichts, zumal es dabei in der Regel ja nicht um die Vermittlung von Wissen, sondern nur darum geht, die besondere Komplexität und Schwierigkeit der eigenen Sprache gegenüber allen anderen Sprachen herauszustellen. Es geht in diesen Zusammenhängen nicht darum, etwas zu lernen oder zu lehren, sondern darum, Lernen gerade zu verhindern. Dennoch hatten wir uns noch eine ganze Weile der aussterbenden Sprache Lettisch und ihren Besonderheiten zu widmen.

Einer der Anwesenden kam dabei auf seine Erlebnisse in Moskau zu sprechen und wie auch die Russen immer an den Tücken des Lettischen gescheitert sind. Er hatte noch zur Zeit der Sowjetunion in Moskau studiert. Rückblickend wusste er zu berichten, wie schrecklich das damals alles war. Wie rückständig schon damals alles war, es im Grunde heute noch ist. Ich war ein bisschen angewidert.

Man hatte ja schon damals gewusst, wie sehr das alles falsch war, wurden wir durch das Gesagte belehrt. Ich blickte in die Runde. Meine russischen Freunde machten gute Mine zum bösen Spiel.

Da war also ein Lette, der damals zur Zeit die Sowjetunion die Möglichkeit hatte, in Moskau zu studieren, was nicht gerade auf eine grundlegende und fundamentale Opposition zur Macht hindeutete, der heute über dieses Damals herzog als hätte es mit ihm in keiner Weise zu tun. Ich stocherte mit der Gabel in meinem Salat und bekam schlechte Laune.

Vermutlich, so dachte ich bei mir, war der damals genauso stromlinienförmig angepasst wie heute. Man kennt diesen Typus. Es gibt diese ehemaligen Bürger der DDR, denen genau am 3. Oktober 1990 eingefallen ist, dass sie die DDR eigentlich schon immer scheiße fanden, während sie noch zwei Wochen vorher ihre Nachbarn bei der Stasi angeschwärzt haben. Man nennt diesen Typus “Wendehals”. Ohne Rückgrat, ohne festen moralischen Kompass, sich immer am aktuell wehenden Winde ausrichtend und auf den eigenen Vorteil blickend. Die Bundeskanzlerin oder auch der Bundespräsident a.D. Gauck ist diesem Typus zuzurechnen.

Ich führte das Aufkommen meiner schlechten Laune darauf zurück, mich in einem Kreis von Wendehälsen zu befinden. Ich wollte weg. Auf keinen Fall wollte ich mich mit diesen Menschen betrinken. Ehrlich gesagt, widerten sie mich an.

Der Abend war unangenehm.

Zu meinem Erstaunen verlaufen nahezu alle Begegnungen mit Menschen aus den baltischen Staaten unangenehm. Man sollte daher noch einmal genauer Hingucken, was man sich da ins europäische Boot geholt hat. Vor kurzem postete ein mir bekannter Herr aus Estland auf Facebook, wie bescheuert die Briten mit ihrem Brexit doch sind. Ich fand es einigermaßen erstaunlich dies gerade aus der baltischen Ecke zu hören, denn bei der Diskussion um den Brexit spielte das Thema Migration eine ganz große Rolle.

Gemeint waren damals nicht die Syrer oder Flüchtlinge aus Afrika, sondern unter anderem die Balten. Das Geschäftsmodell der baltischen Staaten besteht im Großen und Ganzen darin, dass die junge Generation ins EU-Ausland geht, dort in irgendeinem Niedriglohnjob vor sich hinkellnert und Geld nach Hause schickt. Die auf den ersten Blick relativ niedrigen Arbeitslosenzahlen in den baltischen Staaten sind durch Auswanderung und nicht durch Beschäftigung im Land erzielt. Angesichts des Brexits hätte ich da als Este deshalb mal lieber meine Klappe gehalten, denn dieses baltische Geschäftsmodell des Exports von Jugend hat einen gewissen Anteil am Ausgang des Referendums der Briten.

Mit meinem baltischen Bekannten ging dann im Folgenden noch ein bisschen um Russland und die dort grassierende Homophobie, die armen Tschetschenen und das ich natürlich ein Propagandist bin. Er hätte durchaus zur Kenntnis genommen, dass ich für RT schreibe und ich soll mir mal Gedanken machen, warum RT überall verboten wird. Nun ja… wir werden uns künftig wohl nicht mehr unterhalten. Wozu auch?

Über Pressefreiheit mache ich mir ständig Gedanken, der besagte baltische Glaubensbruder des Mainstreams offensichtlich eher nicht. Er würde bei ernsthafter Überlegung zwangsläufig zu einem anderen Ergebnis kommen. Pressefreiheit bedeutet nämlich, dass man auch Formate zulässt, die nicht die Regierungsmeinung runterbeten und Kontroversen erträgt. 

Auffallend ist in beiden Fällen, wie sehr unsere baltischen Partner auf Linie sind. Alles, was in den Medien so verbreitet wird, ist die lautere Wahrheit, alles, was aus Russland kommt, Propaganda. Die sowjetische Vergangenheit mies, die EU strahlend rosig.

Ein extrem schlichtes Weltbild mit dem unsere baltischen Partner da umhergehen.In der Auseinandersetzung bekommt man den Eindruck, es handele sich bei den Balten um die Gewinner einer historischen Lotterie. Im geschichtlichen Sinne neureich geworden blickt man herunter auf den ehemaligen Nachbarn, bemerkt dabei nicht, dass die Jackets der Damen und Herren im neu gewonnenen Bekanntenkreis doch schon recht fadenscheinig sind, sie so von besseren Zeiten erzählen, die offenkundig nicht mehr sind. Man fühlt sich irgendwie erhoben und bedankt sich dafür mit Linientreue, die eine dicke Schleimspur hinterlässt, merkt dabei gar nicht, wie sehr das Gewonnene selbst schon vom Verfall gezeichnet ist.  

Es ist schwer zu verleugnen – die Balten sind mir unangenehm. Meine baltischen Begegnungen verliefen allesamt nicht so dolle. Ich weiß, ich weiß, es gibt sicherlich auch andere. Ich werde mich auch künftig offen halten. Aber bisher war es nicht eben prickelnd und es war auf eine immer ähnliche Weise nicht prickelnd.  

Wer jetzt meint, das Verhalten der Balten sei irgendwie verständlich, schließlich hätten sie eine schwere Zeit hinter sich mit all der sowjetischen Besatzungsmacht und der daraus sich für die Gegenwart ergebenden ständigen Bedrohung durch Russland, der irrt.  Die Russen sind, soweit ich weiß, ganz froh, dass sie die los sind. Die Balten gelten als träge, undankbar und im Unterhalt teuer – ein wenig lohnendes Investment also. Es gibt dort nichts, was Russland bräuchte. Und ehrlich gesagt, die Balten wissen das auch. Sie wissen, dass all ihre Hysterie in Bezug auf Russland absoluter Quatsch ist. Die Hysterie ist allerdings ihre einzige Münze, mit der sie etwas schachern können. 

Wegen dieser Hysterie stehen deutsche Soldaten seit zwei Jahren wieder an der Grenze zu Russland. Es ist mit Sicherheit keine gute Idee, auf die bizarren Befindlichkeiten der Balten einzugehen. Man müsste ihnen viel mehr verständlich machen, dass Russland nicht den Hauch eines Interesses daran hat, sich die baltischen Staaten mit Gewalt zurück zu holen, wo es doch einigermaßen froh ist, dass sich jetzt die EU um die Quälgeister zu kümmern hat.

Die russische Gemütslage in Bezug auf die Ukraine ist bedingt durch die zeitliche Nähe der Ereignisse und das Brüske im Ablauf komplexer, aber das zugrunde liegende Gefühl ist ähnlich: Endlich sind wir die los.

Es ist ganz erstaunlich, wenn man diese Unterschiede in der Befindlichkeit zueinander mitbekommt. Ein nicht gerade kleiner Teil der Ukrainer erwartet jeden Moment den Einmarsch der Russen. Ganz ernsthaft! Nun gut. Die Zensur im Lande ist heftig und die Verbindungen nach Russland wurden auch was das Internet angeht durchtrennt. Russische Webseiten, die darüber Auskunft geben könnten, sind in der Ukraine nur schwer zugänglich.

Aber die Haltung in Russland ist eben eine ganz andere. “Jetzt habt ihr die. Viel Spaß!”, sagte mir mal ein guter russischer Freund, der damit eine Grundstimmung in Russland zum Ausdruck brachte.

Und wenn ich das richtig einschätze, werden wir genau in diesem Sinne viel Spaß haben. Mein Bekannter aus den Staaten sagte dazu immer “Pain in the ass”. Nicht lebensbedrohlich aber unangenehm und störend. Sowie ich das sehe, läuft mit unseren Zugewinnen im Osten Europas genau darauf hinaus. Ein Ansatz zum Brückenschlag jedenfalls wird von dort aus nicht kommen, obwohl die Region dafür eigentlich aufgrund ihrer Geschichte prädestiniert wäre. 

 

    

7 Kommentare zu „Von Esten und Letten, Su- und Präfixen sowie Schmerzen im Arsch

  1. Lieber Gert Ewen.
    Deinen unangenehmen Abend fühle ich lebhaft mit, und deine Gedanken dazu leuchten mir ein.
    Ich danke dir für diesen kleinen Blick auf das besondere Ländchen.

    Und doch habe ich eine Frage, nicht anzüglich gemeint, einfach eine Frage:
    Kennst du sehr viele Balten? Immerhin verallgemeinerst du derer Geisteshaltung, sprichst von „den“ Balten. Ist deine Verallgemeinerung mithin breit konsolidiert?

    1. Nein, ich kenne nicht viele Balten. Nur die, die ich kenne, waren zu 100 Prozent so. Also alle. Ich verallgemeinere hier, was ich im Tect auch zugebe und hoffe für die Balten und die EU dass sie nicht alle so sind.

      1. Ich danke dir, Gert, für deine offene Antwort.
        Ohne Moralin. Hüten wir uns vor Verallgemeinerungen. Ich sage das erstens und zweitens zu mir selber, erst drittettens zu dir.

  2. wenn Sie so wenig Balten kennen, dann lade ich Sie ein zu einem Workshop an der Culture Academy in Viljandi oder ins Sena Klets – Trachtenzentrum nach Riga …
    ich denke es liegt an Ihnen welche Bekannten Sie haben, in welchen Kreisen Sie sich bewegen, also hüten Sie sich bitte vor Verallgemeinerungen!

  3. Ich kenne zwar Balten, die „nicht so“ sind – sie dürften aber kaum für ihr Land repräsentativ sein. Anlässlich einer Pressereise nach Lettland, die interessanterweise auf einer riesigen Autofähre begann, hingen lettische, estnische und russische LKW-Fahrer völlig entspannt gemeinsam rum, aßen an den gleichen Tischen, rauchten, schwatzten und sonnten sich auf den selben Decks. Kollegen der schreibenden Zunft, die in Riga unsere Gastgeber waren, vermittelten den Eindruck, die Geschehnisse in Europa durchaus differenziert zu betrachten und sachlich zu antworten, wenn wir Fragen stellten nach dem nicht vorhandenen passiven Wahlrecht für Russen, die sich nicht „lettifizieren“ ließen, oder nach Strafprozessen gegen Partisanen, die lettische SS-Freischärler währen des zweiten Weltkriegs umgelegt hatten … sobald wir aber „losgelassen“ m.o.w. auf eigene Faust das Land ein Stück weit erkundeten, hatten wir Mühe, die Fassung zu bewahren. Deutsche? Hurra, Heil Hitler! SS-Runen als verbreitete Graffiti an vielen Sehenswürdigkeiten, keineswegs älter als einige Jahre … ich bin durchaus offen für Belehrungen, aber ein solch dicker Brocken lässt sich nur schwer verdauen.

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