Von Wahrnehmung zu sprechen bedeutet, von Welt zu sprechen. Wahrnehmung ist niemals Wahrnehmung von etwas, sondern immer unmittelbares Erschaffen eines geschlossenen Weltzusammenhangs. Wir hören keine Geräusche, sondern die Straßenbahn, die vorbei fährt. Wir sehen keine Farben, sondern die Blumen im Beet, wir riechen keine Gerüche, sondern unmittelbar Putzmittel oder das Mittagessen auf dem Herd.
Wahrnehmen ist kein unschuldiger Akt, sondern ein kreativer Prozess. Beide Aspekte sind hier zu betonen. Wahrnehmung ist eben kein Akt, keine abschließbare Handlung, sondern ein andauernder Prozess. Dieser Prozess ist nicht unschuldig oder rein, in dem Sinne, dass er uns objektiv Welt zur Verfügung stellt, sondern über Wahrnehmung liegt Welt immer schon vorab erschlossen vor. Mit einem Augenaufschlag erschaffen wir unmittelbar Welt. Dieser Prozess ist unvermeidbar, denn wir stehen niemals vor der Entscheidung wahrnehmen zu wollen oder nicht. Wir nehmen einfach immer wahr.
Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Konstruktion sozialer Zusammenhänge. Diese Konstruktion ist eben nicht unser Vermögen. Diese Konstruktion hat sich immer schon ereignet. Wir sehen eben nicht zunächst Menschen, die wir nach einer ersten Inaugenscheinnahme zuordnen. Wir sehen unmittelbar und zunächst Männer und Frauen. Wir sehen immer schon eine geordnete Geschlechterwelt. Wir sehen immer Anordnung, die einem Muster folgt, von dem zu sagen, es sei erlernt oder bloß gesellschaftlich konditioniert, die Tragweite von Wahrnehmung unteschätzt. Dieses Unterschätzen ist gerade der zentrale und ausnehmend gefährlich naive Fehler dem der Deutsche Feminismus in der Gefolgschaft von Alice Schwarzer unterliegt. Es ist geradezu zwangsläufig, dass dieser ins Rechtschauvinistische sich wenden musste.
Das Verhältnis ist deutlich komplexer und eben nicht so einfach zu druchdringen, da neben dem Individuellen und dem Gesellschaftlichen noch etwas mitspielt, das zwischen diesen beiden als Korrektiv vermittelt.