Die Kapsel 10 (Schluss)

Leblos und schlaff hing die Wurzel an ihnen. Jens streifte sie vorsichtig ab. Nichts passierte bei dieser Berührung.
„Jens! War das real?“
„Ich muss mich erst mal setzten, bevor ich auf so schwierige Fragen antworten kann. Haben wir das gleiche erlebt?“ Jens nahm sich einen Küchenstuhl, Stefan lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme. Er begann, seine Erlebnisse zu schildern. Jens nickte schon nach den ersten Worten zustimmend. Ja, sie teilten die gleichen Erfahrungen, sie hatten dasselbe erlebt, jeder aus seiner Perspektive. Sie waren zusammen ‚dort‘ gewesen.
„Was machen wir jetzt mit diesem Erlebnis?“
„Keine Ahnung. Ich kann das überhaupt nicht einordnen“, meinte Stefan.
„Wir sind zusammen auf einem anderen Planeten rumgehüpft.“
„Stimmt, diese Hüpferei. Wie absurd. Waren wir denn wirklich dort? Physisch waren wir doch die ganze Zeit eigentlich hier in der Küche, oder?“
Jens schüttelte den Kopf. „Wo wir physisch waren, ist vielleicht gar nicht so wichtig.“
„Du meinst, nur das Erlebte zählt? Vielleicht hast du recht. Allerdings verstehe ich immer noch nicht, warum das alles passiert ist. Es fühlt sich alles nach Bedeutung an, aber ich kann keine entdecken. Wir halluzinieren uns ein Irgendwo, wo irgendwelche Riesenpflanzen Kapseln ins All schleudern, die so aussehen wie die Kapsel, die wir im Wald gefunden haben. Das ergibt alles gar keinen Sinn.“
„Mensch Stefan, doch! Das ergibt Sinn.“ Jens wurde plötzlich ganz euphorisch. „Wenn eine Lebensform auf einem anderen Planeten mit anderen Lebensformen auf anderen Planeten Kontakt aufnehmen will, dann ist es doch am besten, sie schickt erstmal Informationen, ohne selbst den Weg auf sich zu nehmen.“
„Das meinst du doch jetzt nicht ernst?“ Stefan runzelte die Stirn.
„Doch doch! Und die Information wird nicht als Text oder sowas verschickt, sondern als Erfahrung. So muss nicht erst etwas entschlüsselt werden. Außerdem ist es sicher. Falls die entdeckte Lebensform aggressiv ist, bekommt sie nur die Information, dass es auf anderen Planeten Leben gibt, aber sie erfährt nicht wo.“
„Schön und gut. Also. Diese Pflanzen werfen ihre Kapseln ins All, wo sie dann mit vielleicht zehn, fünfzehn Stundenkilometern unterwegs zu anderen Planeten sind. Das klingt extrem plausibel.“
„Ich gebe zu, es fehlen noch ein paar kleine Bruchstücke in meiner Theorie …“
Stefan fing an zu lachen. „Ein paar kleine Bruchstücke. ‚Theorie‘ nennst du das. Soso.“
„Jetzt lach mich nicht aus. Es ist immerhin eine Idee und damit besser als das, was du hast. Du hast nämlich gar nichts. Nur große Einfallslosigkeit.“
„Ist ja gut. Also. So eine Kapsel reist durchs All, übersteht alles, den Eintritt in die Erdatmosphäre ohne zu verglühen und völlig intakt, und landet vor unseren Füßen.“
„Vor meinen Füßen“, korrigierte Jens.
„Vor deinen Füßen. Und woher merkt die Kapsel dann, dass sie angekommen ist und ihre Botschaft verbreiten darf?“
„Durch die DNA, ist doch klar.“
„Wie dumm von mir! Logisch, die DNA. Das ist jetzt aber wirklich alles sehr spekulativ. Dafür gibt es nicht den Hauch eines Beweises. Du hast einfach zu viel Science Fiction gelesen.“
„Man muss das natürlich noch wissenschaftlich überprüfen. Lass uns das Ding doch nochmal angucken.“
Stefan und Jens wendeten sich dem seltsamen Gewächs in ihrem Spülbecken zu. Zu ihrer Überraschung waren inzwischen alle wurzelähnlichen Auswüchse verschwunden, ohne auch nur eine Spur hinterlassen zu haben. Und die Kapsel selbst schien nach und nach zu verblassen. Es war, als verliere sie ihre Substanz, wurde durchsichtiger und mit einem Mal war sie ganz verschwunden.
„Das gibt es doch nicht. Jetzt ist sie weg. Vor unseren Augen weg.“ Jens schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Wie sollen wir jemals beweisen, was uns passiert ist?“
„Keine Ahnung.“
„Und nun?“
„Ich weiß nicht. Lass uns aufräumen.“

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