Nyusha glaubt, dass es noch nicht zu spät ist

Gerade noch rechtzeitig vor dem Televoting warnt uns ein deutscher Qualitätsjournalist vor dem russischen Beitrag zum Eurovision Song Contest. Polina Gagarina tritt mit einem Beitrag an, der in perfider Weise versucht das Bild des kriegerischen, homophoben Russland in der öffentlichen Meinung zu verschieben, denn ihn ihrem Lied geht es um Frieden und Vielfalt.  Zum Glück entlarvt ein engagierter Kenner der russischen Musikszene im Stern dieses Lied als Propaganda-Machwerk von… nun ja, man mag es kaum glauben… eigentlich von Putin selbst.
Ein Phänomen, dieser zarengleiche Regent Russlands, der jetzt auch die internationale Schlagerszene für seine selbst ausgedachten Propaganda-Songs instrumentalisiert. Wie macht der Mann das nur, mag sich manch einer fragen, der bereit ist, die geistigen Volten der deutschen Journaille mitzuschlagen.
Tagsüber Waffenlieferung an die Seperatisten in der Ukraine getarnt in Hilfskonvois, nachts komponieren von Propaganda-Liedern und zwischendurch gründet er noch eine Alternative zur Weltbank und eine Zollunion, während er rund um die Uhr das eigene Volk unterdrückt.
An diejenigen, die das glauben, richtet sich mein Beitrag nicht, denn da scheint mir Hopfen und Malz verloren. Aber diejenigen, die das Gefühl haben, da stimmt wohl eher was in der deutschen Berichterstattung als im Kreml nicht, die lade ich ein, Nyusha kennen zu lernen.
Der Clip Tsunami, den ich hier mit englischen Übertiteln verlinke, stammt von 2014 und ist zunächst eine groovige Dance-Nummer, bei der man nur schwer die Füße still halten kann. Dass ich das Video mit Übersetzung gewählt habe, ist Absicht, denn der Text gibt den Bildern eine Bedeutung, die diametral zur deutschen Meinungsmache steht.

Was sieht man im Clip? Eine Russin findet sich ohne Orientierung und verwirrt von der Umgebung in einer Kleinstadt in der US-amerikanischen Wüste wieder. Dass es sich um eine Russin handelt, ist spätestens ab dem Moment klar, an dem sie eine Tür zu einer schäbigen Bar aufstößt und ihr Gesang einsetzt.
Und jetzt wird es interessant, denn während in der realen Welt Victoria Nuland auf dem Maidan Kekse verteilt und der Konflikt auf einen ersten Höhepunkt zusteuert, tanzen die Menschen in der russischen Föderation zu diesem Text:

Es gibt keine Entschuldigung für deine rohe Behandlung
Dennoch ist sie eher eine Herausforderung
Ich bin so einsam geworden in diesen Tagen
Es fühlt sich an, als sei ich eingesperrt.

Du bist nicht mein Feind
Bitte mache einen Schritt auf mich zu
Vielleicht ist es dumm, aber es ist nicht komisch,
Ich denke, du bist an mir interessiert.

Sag nicht, es sei zu spät
Kannst du nicht diese Verbindung zwischen uns fühlen.
Wir wollten es so sehr
Glück kam wie ein Tsunami über uns.

Für sich ist der Text nicht wirklich interessant, doch in Verbindung mit den Bildern wird daraus eine politische Botschaft. Eine Suche der Annäherung an die USA ausgehend von der russischen Föderation.
Die Message wird in ihrer Friedfertigkeit vielleicht auch den ein oder anderen deutschen Qualitätsjournalisten irritieren.
Die Aufforderung jedenfalls, den russischen Beitrag beim ESC auszubuhen, wie sie der stern anrät, wird vor dem Hintergrund hochnotpeinlich, dass es eine vielfach politisierte Pop-Kultur in Russland gibt, die ganz eigenständig, ohne Putins Zutun sich Sorgen um den Zustand der Welt macht. Nyusha und Polina Gagarin sind dafür nur zwei Beispiele, die sich um viele weiter ergänzen lassen und in der Fortschreibung dieses Blogs auch ergänzt werden.
Warum kommt eigentlich aus Deutschland kein Schlager-Beitrag, der die Hand in Richtung Russland öffnet? Es wäre ein ausgleichendes Gegengewicht, wenn sich die Pop-Kultur nicht der Geschichte in der Weise verweigern würde, wie die Politik, wie Frau Merkel es tut, die sich trotz Einladung weigert, an den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Moskau teilzunehmen. Ich persönlich schäme mich dafür übrigens sehr.
Überhaupt sind die Künstler, die Dichter und Denker angesichts der hierzulande zunehmend schriller werdenden Propaganda erstaunlich ruhig. Das war auch mal anders.

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