Javier 35

Javier schob es auf den Ort. Die Nachfrage nach Werken von Daniel Mersiowsky war hier in Mexiko deutlich geringer als erwartet. Dabei, so schien es Javier, waren hier eigentlich genau die gleichen Leute unterwegs, wie er sie auch aus Miami oder sonstwoher auf dieser Welt kannte. Zwar hielt sich Javier wie auch viele seiner Kunden für einen ausgemachten Kosmopoliten, doch nichts könnte von der Realtität weiter entfernt liegen als diese Annahme.

All diese Menschen, die sich als Art-People und Art-World verstanden, wären in ihrer Mehrheit gar nicht in der Lage, mit Vielfalt umzugehen. Es war gerade eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren des zeitgenössischen Kunstmarktes, dass er jede Form kultureller Vielfalt ausklammerte. Sicherlich gab es feine Unterschiede, doch ein Kunstmarkt, der ohnehin nur noch ein Teil des globalen Finanzmarktes war, konnte es sich gar nicht leisten, Vielfalt außerhalb den Grenzen des Vermarktbaren zuzulassen. Kulturelle Vielfalt schon mal gar nicht, das war alles viel zu zeitraubend und kostspielig. Schließlich konnte man von den Akteuren nicht erwarten, dass sie sich erst mal lange mit unterschiedlichen Gewohnheiten und Traditionen auseinandersetzten. Es ging schließlich um Handel und Markt und nicht um Auseinandersetzen und Verstehen.
Eine Börse funktioniert in Hong-Kong schließlich auch nicht anders als die in London. Es mussten internationale Standards gelten und diese Standards verhinderten alles, was mit so etwas wie Weltbürgertum auch  nur im Geringsten zu tun hatte.

Im Gegenteil: Die internationalen Kunstmessen standen miteinander in Konkurrenz und diese Konkurrenz sorgte im Widerspruch zur herrschenden ökonomischen Theorie dafür, dass sie eben nicht vielfältiger, sondern einander immer ähnlicher wurden. Die Art-World war eben viel weniger eine Welt als vielmehr ein kleines, mobiles Kuh-Kaff mit immer einfältiger werdenden Sitten und Gebräuchen, das diese Einfalt mal in Europa, mal in Asien und mal in Amerika zelebrierte.

Javier fühlte sich in diesem Rahmen wohl, denn die Reduktion der sozialen Kontakte auf eine überschaubare Anzahl an Codes war etwas, das ihm Sicherheit gab, wobei er diese Codes auch noch in volltrunkenem Zustand dechiffrieren, wenn auch nicht immer adäquat reproduzieren konnte. Er galt deshalb vielen als Enfant terrible.

Auf dem Weg zur Toilette, wo er sich eine Nase gönnen wollte, dachte Javier daher für einen Moment, er sei in Köln. Erst die Qualität des Kokses machte ihn auf seinen Irrtum aufmerksam. Es war hier in Mexiko an der Quelle sozusagen tatsächlich besser.

Erfrischt ging er zurück zu seinem Stand. Hannes saß gelangweilt vor einem Werk Daniel Mersiowskys, für das sich im Moment niemand interessierte. Dabei war die Messe gut besucht und der Andrang am Stand ein bisschen weiter unten im Gang war recht groß.

Javier beauftragte Hannes dort mal vorbei zu schlendern, denn er wollte keinesfalls dabei beobachtet werden, wie er seine Neugier befriedigte. Hannes zog los, Javier nahm an seiner Stelle Platz, hielt sich das Handy ans Ohr und grüßte von Zeit zu Zeit ein halb bekanntes Gesicht, um nicht den Anschein von Gelangweiltsein entstehen zu lassen.

Hannes kam zurück und berichtete, dort würde ein belgischer Künstler ausgestellt. Skulpturen aus Skarabäen und bronzene Selbstporträts mit Hörnern. Javier googlete den Namen und war überrascht über die Vielzahl der Einträge unter dem Namen, den Nick ihm nannte. Fabre… hatte er noch nie gehört. Doch noch viel schneller als Google ein Ergebnis liefern konnte, wusste Javier seinen Mangel an Wissen weg zu erklären. Schließlich stand er für amerikanische Kunst, konnte daher nicht jeden dahergelaufenen Europäer kennen. Es war überhaupt nicht sein Markt.
Das Koks sorgte dafür, dass er sich eben nicht weiter interessierte, sondern mit einer arroganten Geste den von ihm unmittelbar mit einem abwertenden Begriff belegten Künstler wegwischte, von dem er sich gerade persönlich angegriffen fühlt.

Die Bereitschaft und Fähigkeit zu lernen, ist mit das erste, was bei intensivem Gebrauch psychotroper Substanzen verloren geht. Javier jedenfalls wollte nicht weiter von den Einträgen irgendeines perversen Belgiers mit einem Käfer-Fetisch von Google belästigt werden, weshalb er eine andere Seite aufrief. Doch das, was er dort sah, schockierte ihn noch mehr. Daniel Mersiowsky war im Ranking der Künstler seiner Preisklasse plötzlich in eine andere Kategorie einsortiert worden. Von Kaufempfehlung auf Verkaufsempfehlung, weil der Peak der Wertsteigerung bereits erreicht und der Markt übersättigt sei, wie es dort hieß.

Javier wurde panisch. Die einzige Quelle für den Markt war er. Hatte er Fehler gemacht? Hatte er zu viel verkauft? Er wusste es ehrlich gesagt gar nicht mehr genau. Er fühlte, wie ein Messer ihm im aller Kraft in den Rücken gestochen wurde.

Warum drohte das alles so frühzeitig zu platzen? Der Stich wuchs an zu einem lähmenden Schmerz in Rücken und Arm. Er würde jetzt endgültig Schluss machen mit dem ganzen Koks und Zeug.
Die Enge, die sich auf seine Brust gelegt hatte, verstärkte die Panik. Er musste jetzt irgendwas nehmen, irgendwas, was helfen würde, dachte Javier. Er wollte es mit Valium versuchen, weshalb er an seiner Jackentasche nestelte. Seine Panik wurde immer größer, dunkler, grausamer. Sie packte ihn mit eiserner Hand direkt am Herzen. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er suchte noch nach seinen Tranquilizern als Hannes in fragte, ob alles in Ordnung sei. Javier verneinte, versuchte aufzustehen, woraufhin er bewusstlos zu Boden fiel. Er fiel nicht tief, denn er war nicht sehr groß.

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