Auch in diesem Jahr war es Javier nicht gelungen Markus Spiegel davon zu überzeugen, wie wichtig es sei, dass gerade Javier mit seiner Galerie auf der großen Liechtensteiner Kunstmesse vertreten sein müsse. Wieder würde er sich damit abfinden müssen, Rahmenprogramm sein zu müssen, wieder würde er, da er unter dem Titel “Junge Kunst” zu firmieren hatte, vom ganz großen Geld ausgeschlossen bleiben. Aus Wut darüber, vor allem aber, weil er Angst vor Verarmung hatte er beschlossen, an einer Kunstmesse in Mexiko City teilzunehmen.
Als er Regina Ludovic davon berichtete, hatte sie ihm zu seiner großen Überraschung zugeraten. Es seien so viele interessante Menschen und außergewöhnliche Werke dort zu sehen. Außerdem würden die Geschäfte Bobs, ihres Mannes, es inzwischen notwendige machen, ab und an in Mexiko Präsenz zu zeigen. Sie würde dann die Gelegenheit nutzen, ihre Sammlung um außergewöhnliche Werke zu erweitern. Sie würde dabei die volle Unterstützung Bobs genießen. Die Förderung junger, lateinamerikanischer Künstler sei ihm inzwischen ein großes Anliegen. Sie würde sich jedenfalls freuen, Javier dort zu sehen.
So saß Javier die Augen weit aufgerissen mit einer Mischung aus Koks, Meth und Alkohol in der Birne jetzt in Mexiko und verscherbelte Kunst. Sein Kopfweh unter dem er hier aufgrund der Höhenlage litt, war durch die brisante Mischung inzwischen verschwunden. Methamphetamin war eine Substanz, die er für sich ganz neu entdeckt hatte. Zwar hatte er Crystal Meth auch früher schon immer mal genommen, wenn es da war, aber es war nie seine primäre Substanz gewesen. Früher war es das Koks. Das hatte sich inzwischen verschoben. Heute liebte er Crystal. Es machte so wach, so klar, die Gedanken scharf wie eine Klinge.
Er unterhielt sich mit einem Sammler, dessen Namen er wissen müsste, denn er hatte schon viel Geld bei ihm ausgegeben, doch er fiel im partout nicht ein. Hannes Knecht besorgte gerade Nachschub von weißem Pulver. Hannes war inzwischen eingeweiht und wusste von Javiers massivem Rückfall, den zu beenden Javier im Moment nicht den Hauch einer Neigung verspürte. Hannes Knecht machte Javier manchmal Vorwürfe, Javier gelobte Besserung, und so erfüllte Hannes brav alles, was Javier von ihm wollte.
Wie hieß dieser Vollidiot doch gleich, der da gerade auf ihn einredete und von der großen Kunst faselte? Er würde einfach improvisieren. In diesem Moment konnte es, denn er war total drauf. Seine Angst vor Menschen war vor zwei Stunden von ihm abgefallen und ihre Rückkehr würde noch eine Weile dauern. Er schnappte das Wort “Vision” auf, das ihm sein Gegenüber gerade zuspielte.
Er habe keine Visionen mehr, antwortete Javier, und ohne auch nur Atem zu holen fuhr er fort, er brauche keine Vision mehr, seit er mit den Drogen abgeschlossen hatte und abstinent lebe. Visionen, das sei ihm aufgegangen, wären alle schal. Leere Gebilde der Fantasie.
Realität, das wäre sein großer, lebenseinscheidender Flash gewesen. Seine neue Droge wäre Realität. Jetzt würde Realität durch seine Venen fließen. Die Dinge selbst, die Welt wie sie ist, So-Sein, alles jenseits von Vision, das wäre seine große Entdeckung.
Die Mischung aus Meth, Koks und Alkohol trug ihn von einem Wort zum anderen. Er glaubte an jedes davon. Und sein Gegenüber glaubte Javier.
Ein Kommentar zu „Javier 34“