“Solidarität” ist zu einem Schlagwort in der Pandemie geworden. Es sei ein Akt der Solidarität sich impfen zu lassen. Nun ist es zwar so, dass nach der anfänglichen Euphorie bezüglich der Impfstoffe sich immer deutlicher zeigt, dass sie die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Man impft sich nicht für die Volksgemeinschaft, sondern nur für sich, um sein individuelles Risiko für einen schweren Verlauf im Fall einer Infektion zu senken.
Dennoch ist die Verwendung des Begriffes interessant. Impfen als Akt der Solidarität. Gegenüber wem eigentlich? Ich habe hier schon provozierend von der Volksgemeinschaft geschrieben. Sicherlich würden jene, die Impfen für einen Akt der Solidarität halten, den Begriff der Volksgemeinschaft nicht im Munde führen, denn sie halten sich überwiegend für links-liberal. Aber schaut man genauer hin, ist natürlich genau das gemeint. Impfen zum Schutz der deutschen Volksgemeinschaft, damit “wir” gemeinsam wieder freier leben können. Das links-liberale Milieu geht mit rechts-autoritärem Gedankengut um.
Das eigentliche Problem aber ist, Solidarität funktioniert so nicht. Ich kann solidarisch mit Personen aus meinem konkreten Umfeld sein, mit meinen Nachbarn, meinen Freunden, meinen Kollegen, mit einer Gruppe, mit der mich gemeinsame Ideen und Ziele verbinden. Dort kann ich mitfühlend sein, dort ist Gemeinschaft. Mit “allen” kann ich nicht solidarisch sein, das überfordert den Begriff und das Individuum. Solidarität braucht eine Abgrenzung, etwas, das meine Solidarität nicht hat. Solidarität braucht ein Gegenüber, mit dem es nicht solidarisch ist, im aktuellen Geschehen sind das die Ungeimpften. Solidarität ist eben auch immer ein Begriff der Teilung, der Abgrenzung und Spaltung. In Bezug auf die Nation führt das Beschwören von Solidarität historisch regelmäßig zu Ausgrenzung und Terror gegen Andersdenkende und Minderheiten.
Im aktuellen Gebrauch im Rahmen der Pandemie ist darüber hinaus noch anzumerken, dass mit der Verwendung des Begriffes Politik die Verantwortung an den Einzelnen abgibt. Jeder soll sich freiwillig impfen lassen – aus Solidarität. Wer es nicht tut, sei unsolidarisch. Das lenkt vom Versagen der Politik ab, das ist unredlich, unethisch und gefährlich. Es wäre politisch geboten gewesen, die Einschränkungen, so sie denn nötig waren, möglichst kurz und begrenzt zu halten und Freiheit so schnell wie möglich wieder herzustellen. Es wäre geboten gewesen, zunächst für eine solide Datenbasis zu sorgen. Die gibt es noch immer nicht. Es wäre geboten gewesen, die politisch hergestellten Defizite in der Pflege zu beheben, um den Beruf attraktiver zu machen. Es wäre geboten gewesen, allen verfügbaren Impfstoffen Zugang zum Markt zu geben, damit sich diejenigen, die sich impfen lassen wollen, sich zwischen den unterschiedlichen Varianten – Peptid-Impfstoff, Vektorimpfstoff und mRNA-Impfstoff entscheiden können. Der Markt wird aber künstlich eng gehalten. Es gäbe hier noch viel über die Versäumnisse und das Versagen von Politik zu schreiben. Auch im zweiten Corona-Winter gibt es kaum sinnvolle, kluge und durchdachte Maßnahmen, die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nimmt und abwägt. Es gibt auch keine ehrliche Kommunikation. Die Einforderung von Solidarität seitens der Politik wirkt daher unredlich und verlogen.
Dass wir uns nicht aus der Pandemie heraus impfen werden, wird mit jedem Tag deutlicher. Es ist zu hoffen, dass damit auch die Anrufungen der Volkssolidarität wieder abklingen, denn das ist in tiefer Weise geheuchelt und verlogen. Vor allem aber führt es nicht zu einem Ende der Pandemie, wohl aber zur tiefen Spaltung der Gesellschaft, zu Hass und Hetze und in den totalitären Staat.