Die Diplomatisierung der internationalen Beziehungen

In der für deutsche Medien typischen propagandistischen Verzerrung wird der sich vollziehende geopolitische Wandel in ein Schema des Kampfes Gut gegen Böse eingeordnet. Hier die aufrechten Demokratien, die für die regel- und  wertebasierte Ordnung stehen. Dort die Autokratien unter der Führung Chinas und Russlands, die dieser Ordnung den Kampf angesagt haben.

An dieser Sicht ist nur eins richtig: die vom Westen dominierte Ordnung soll überwunden werden. Der Grund dafür ist allerdings nicht ihre moralische Wertigkeit, die durch ein System des reinen Bösen ersetzt werden soll. Das Gegenteil liegt näher an der Wahrheit.

Die regelbasierte Ordnung wird von der Mehrheit der Länder abgelehnt, denn sie wird als ungerecht sowie als Relikt des Kolonialismus empfunden. Der kollektive Westen unter Führung der USA macht die Regeln, deren Beachtung er einfordert, an die er sich obendrein selbst jedoch nicht gebunden fühlt. Die regelbasierte Ordnung ist ein System reiner Willkür.

Ersetzt werden soll dieses System durch die Diplomatisierung der internationalen Beziehungen. Ein System, in dem souveräne Staaten auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen ihre Interessen vertreten. Ein System des Unrechts soll durch ein System internationalen Rechts abgelöst werden, vor dem alle Staaten gleich sind. Einer reformierten UN kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Das ist die Idee, für die China und Russland stehen.

Nun sind deutsche Medienkonsumenten darauf konditioniert, Deutschland und die Staaten des Westens für die Leuchttürme der Demokratie zu halten. Dass sich nun ausgerechnet als Feindbild inszenierte Länder für Demokratie in den internationalen Beziehungen einsetzen, wird daher in der Regel als nicht Ernst zu nehmend abgetan. Damit vergibt Deutschland die Chance, sich selbst aus der transatlantischen Abhängigkeit zu befreien. Es wird noch nicht einmal im Ansatz darüber diskutiert.

Russlands Präsident Wladimir Putin weist immer wieder darauf hin, dass sich der geopolitische Wandel nicht gegen andere Länder richtet. Die Annahme, dass die Länder international in Konkurrenz und in Wettbewerb miteinander stehen, soll im Gegenteil überwunden werden. Diese dem westlichen Denken zugrundeliegende Annahme einer globalen Konkurrenz ist treibende Kraft des Imperialismus und Motor von Konflikten.

Deutschland sieht sich als Profiteur der bestehenden Ordnung. Auch darüber wird in Deutschland nicht diskutiert. Aus der Außenperspektive ergibt sich ein anderes Bild. Deutschland ist seiner Souveränität beraubt. Auf internationaler Bühne vertritt deutsche Politik klar erkennbar nicht deutsche Interessen, sondern die Interessen der USA. Deutschland profitiert nicht. Der Preis, den Deutschland im Gegenteil für seine Einbindung in die westliche Allianz zu zahlen bereit ist, ist der wirtschaftliche und politische Niedergang. In Russland nimmt man dieses völlig irrationale Verhalten deutscher Politik irritiert zur Kenntnis. Dass Deutschland den Wandel der geopolitischen Ordnung durch seine Irrationalität aufhalten könnte, glaubt man dagegen nicht.

Dagegen spricht die hohe Attraktivität der Bündnisse, die für dieses neue geopolitische Modell stehen. Insbesondere das BRICS-Bündnis wird von vielen Staaten als attraktive Alternative zur westlichen Dominanz wahrgenommen.  BRICS repräsentiert schon jetzt knapp die Hälfte der Weltbevölkerung. In Deutschland wird die Bedeutung des Bündnisses jedoch ebenso heruntergespielt. Andere Bündnisse, wie die Shanghai Cooperation Organisation, kommen kaum über die Aufmerksamkeitsschwelle, obwohl sie die künftige geopolitische Entwicklung maßgeblich gestalten.

Verweigert sich Deutschland weiterhin einer klaren geopolitischen Analyse, verzichtet es auch weiterhin darauf, auch den politischen Spielraum auszunutzen, der selbst Vasalllenstaaten vom Hegemon eingeräumt wird, verliert Deutschland den Anschluss. Es verliert vor allem die Möglichkeit, mitgestalten zu können. Eine kluge, die eigenen Interessen in den Mittelpunkt des politischen Handelns stellende Diplomatie, die dem internationalen Recht und nicht dem Bündnispartner verpflichtet ist, die versucht, Spielräume auszunutzen und zu vergrößern, wäre angesichts der aktuellen geopolitischen Entwicklung deutlich klüger, als sich bedingungslos den USA unterzuordnen.

Um das allerdings umzusetzen, fehlt dem politischen Personal in Deutschland sowohl die Unabhängigkeit von transatlantischen Institutionen, es fehlt zudem an Analysefähigkeit, vor allem aber fehlt es am politischen Willen, deutsche Interessen umzusetzen.

Hinterlasse einen Kommentar