Ein musikalischer Höhepunkt des Jahres wirft seine Schatten voraus. Die Teilnehmer des diesjährigen Eurovision Song Contests stehen weitgehend fest.
Für die Russische Föderation wird Sergey Lazarev antreten. Sein Beitrag “You are the only one” ist musikalisch ausgereift und in der Thematik ESC-kompatibel ohne nur seicht zu sein. Er hat daher meines Erachtens gute Chancen. Zudem gelang es dem staatlichen russischen Fernsehen mit Sergey Lazarev einen queeren Interpreten zu finden, mit dem sich auch die schwule Gemeinde identifizieren kann, falls sie denn die Offenheit dazu mitbringt.
Es ist zumindest zu hoffen, dass uns dieses Jahr peinliche Buhrufe aus dieser Ecke erspart bleiben. Diese inzwischen fast schon zum Ritual gewordene Darstellung der Unkenntnis der schwulen Gemeinde über die Vorgänge in Russland ist ja immer zum Fremdschämen.
Trotz Buhrufen von irgendwelchen völlig uninformierten, von westlicher Propaganda fest im Griff gehaltenen Dummköpfen hat es die großartige Polina Gagarina im letzten Jahr fast geschafft. Sogar aus Deutschland, in dem die Berichterstattung über sie unterirdisch unqualifiziert und Peter Urbans Kommentar ihres Beitrags unsäglich dämlich war, bekam sie verdiente zwölf Punkte. Ein Zeichen dafür, dass es immer mehr Menschen verstehen, sich vom so genannten Qualitäsjournalismus und seiner Einseitigkeit unabhängig zu machen. Für einen Moment schien Polina als Gewinnerin festzustehen.
Um den deutschen Qualitätsjournalismus wieder einmal vor sich selbst zu schützen, daher vorab ein paar Informationen. Sergey Lazarev wurde ebenso wenig wie Polina Gagarina lediglich für den ESC von der Propagandaabteilung des Kreml aufgebaut. Sie sind in Russland seit Jahren fester Bestandteil der lebendigen russischen Pop-Szene. Sprüche wie “Putins Propaganda beim ESC” kann man sich der transatlantisch orientierte Qualitätsjournalist getrost ersparen, denn sie sind schlicht falsch.
Sergey Lazarev ist auch nicht homophob, was ja dem schwedischen Gewinner des Jahres 2015 nachgesagt wird. Im Gegenteil ist Sergey gern gesehener Gast auf der Bühne der Moskauer Schwulendisko Central Station, die ich übrigens sehr empfehlen kann.
Zwei große Tanzflächen, Bühne, Live-Performances und wer sich im Anschluss entspannen möchte, kann nach nebenan in die Sauna. Hier eine Videozusammenfassung seines letzten Auftritts dort. Damals, es war Dezember, wurde er schon als potentieller Kandidat für den ESC gehandelt.
In dem Clip zu seinem Song, in der Sergey die Liebe zu eine Frau besingt, wird diese Liebe am Schluss denn eben auch als Inszenierung sichtbar gemacht. Ein wunderbar aufklärender Beitrag. Der ESC ist einfach durch und durch schwul und tut nur so, als wäre er es nicht.
A propos Aufklärung. Wer sich auch nur ein bisschen in die Nähe der russischen Kultur begeben hat, weiß um deren Hang zum aufgeklärten Hedonismus. Es ist ein durchweg freudvolles Land. Russland hat vor nur zwei Sachen wirklich Angst: vor Krieg und Faschismus. Von dieser Tatsache weiß freilich Peter Urban nichts, der sich im vergangenen Jahr wunderte, warum ausgerechnet Russland mit einem Lied über Frieden antrat und sich lustig machte. Ich hoffe allerdings mit meinem kleinen Beitrag dazu beitragen zu können, dass Peter Urban derartige Peinlichkeiten unterlässt. Es tut mir immer physisch weh, wenn jemand sein Unwissen von sich selbst überzeugt und daher mit großer arroganter Geste in breiter Öffentlichkeit vorführt.
Es ist allerdings auch schreckliche Tatsache, dass medial versucht wird, die Bereitschaft der Europäer zu immer mehr Krieg herzustellen. Dass Europa und der Westen immer weiter nach rechts driften kann auch niemandem mehr verborgen bleiben. Vielleicht könnte Peter Urban das in seinen Kommentaren mitbedenken.
Da sich andere Nationen mit ihrem Beiträgen schon im Vorfeld ins Aus manövriert haben, hat Russland mit seinem Beitrag tatsächlich gute Chancen. Deutschland mit seinem Panik-Casting nach dem Xavier-Naidoo-Desaster hat jedenfalls ebenso wenig Aussichten auf Erfolg wie die Ukraine mit ihrem Krim-Tataren-Liedchen.
Es würde mich jedenfalls ungemein freuen, wenn wir nächstes Jahr zum ESC nach Russland fahren würden. Moskau ist eine faszinierende Stadt. Oder vielleicht könnte man auch die Krim als Austragungsort wählen. Da wäre es neben dem Genuss von Popkultur, historischer Relevanz und Naturschönheit auch gleich noch möglich, sich über die Verhältnisse zu informieren, in denen die Krim-Tartaren leben. Vielleicht hilft das dabei, sie vom Missbrauch als Instrument der politischen Propaganda zu befreien. Dass der Ukraine das Schicksal der Krim-Tataren ausgerechnet in dem Moment am Herzen liegt, in dem sie nichts mehr mit ihnen zu tun hat, ist bezeichnend für den Zustand der Ukraine.
In jedem Fall drücke ich Sergey Lazarev die Daumen und wünsche ihm von ganzem Herzen viel Erfolg.