Überlebt

Es will einfach kein rechtes Mitleid aufkommen. Dieses Mal nicht. Normalerweise, wenn Massenentlassungen anstehen, weil der Markt es angeblich erfordert, dann geht mir die Galle über. Ich denke an die Menschen, die sich den Arsch für eine Sache aufgerissen haben, die sich für Dekaden jeden Morgen aus dem Bett gequält haben, einstanden für ihre Firma, die dann von irgendeinem Hedgefonds aufgekauft wurde, zerlegt wurde in attraktive und weniger attraktive Teile, die dann abgewickelt oder verkauft wurden,  um dann wiederum aufgeteilt und wieder verkauft zu werden. Immer zum Vorteil von ganz wenigen und zum Nachteil von ganz vielen. Doch dieses Mal will kein Mitleid aufkommen. Dieses Mal ist es, als ginge mir das Herz vor Freude über. 
Das ist neu, denn ich leide eigentlich immer mit jenen, die freigesetzt werden, die auf der Strecke bleiben, die, meist ohne wirklich nachvollziehen zu können, warum, ausgespuckt werden von einer Gesellschaft, die immer marktkonformer zugeschnitten wird. Ich leide mit ihnen, denn ich habe immer auch das Gefühl, es könnte mich ebenfalls treffen. Nicht flexibel genug? Raus! Nicht in der Lage am höher, weiter, schneller mitzumachen? Raus! Nicht gewillt, sich an neue Anforderungen anzupassen, noch eine Fortbildung zu machen und noch eine und noch eine? Raus! Aber dieses Mal will einfach kein Mitgefühl aufkommen. Dieses Mal trifft es die richtigen. Denn es trifft jene, die ganz zentral für diesen Druck verantwortlich sind. Immer nur befristete Verträge, immer noch ein Praktikum oben drauf, trotz Arbeit zum Amt. Kein Mindestlohn, immer weniger Absicherung, immer noch mehr fordern und fordern und fordern.
Dieses Mal trifft es die FDP und ich habe kein Mitleid. Mehrere Hundert werden plötzlich freigesetzt, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt, von heute auf morgen entlassen. Doch dieses Mal trifft es jene, die dies als einzigen Inhalt ihrer Politik vertreten. Ich habe kein Mitleid. Der Souverän hat den Arbeitsvertrag einfach nicht verlängert, weil die Partei nicht flexibel genug auf die veränderten Anforderungen regiert hatte. 
Jetzt stehen die Parteigranden da, machen verdutzte Gesichter in irgendwelche Kameras und verstehen nicht, was passiert ist. Aber es sei ihnen ein Trost zugerufen: So geht es Millionen anderen auch, die auf der gesellschaftlichen Reservebank platz nehmen mussten. Das kann jeder modernen Erwerbsbiographie passieren, das ist nicht so schlimm. Plötzlich draußen. Vielleicht gibt es irgendwo ein Praktikum, in dem man eine zusätzliche Qualifikation erwirbt. Vielleicht beim gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Da könnten sich die Jungs der FDP mal einen Überblick verschaffen, was es neben Neoliberalismus noch so gibt. Ich bitte aber, auf jede Bezahlung zu verzichten. Eine kleine Aufwandsentschädigung ist vielleicht drin. Muss man mal drüber reden. Ist immer auch Verhandlungssache.

Ich bin nicht so naiv, zu glauben, jetzt würde sich grundlegend etwas ändern. Sowohl CDU als auch SPD haben genug Neoliberalismus in ihrem politischen Programm und genug Vertreter der Ideologie in ihren Reihen, um die Republik und Europa weiterhin nachhaltig zu schädigen. Einzig Die Linke ist auf Bundestagsebene weitgehend frei vom Marktradikalismus. Aber CDU, SPD und Grüne haben neben neoliberalen Parolen noch anderes zu sagen. Die FDP nicht. Die hat nur den Radikalismus der Märkte zu bieten, sonst nichts. Und das im sechsten Jahr einer Krise, die genau in diesem Radikalismus ihre Ursache hat. Da merkt selbst der dümmste Wähler, dass was nicht stimmt und wendet sich ab. Es wäre schön, wenn sich die Gewichtungen nun etwas verschieben könnten, denn auf die ganz Radikalen muss nun keine Rücksicht mehr genommen werden. Sie wurden freigesetzt, wodurch es die Möglichkeit für neue Akzente gibt, wenngleich eine radikale Wende, so wünschenswert das wäre, nicht in Aussicht steht. Aber immerhin. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. 

Ein Kommentar zu „Überlebt

  1. Zustimmung. Und was hatte der Hamburger FDP-Spitzenkandidat dazu zu sagen?
    „Wir haben eben nicht so ausgebuffte Machtpolitiker wie Angela Merkel und Horst Seehofer bei uns auf der Seite gehabt.“
    Genau. Es lag gar nicht an der schlechten Politik, der Förderung von Hotels und privaten Krankenversicherungen usw. usf., es fehlte einfach nur die Ausgebufftheit. Herrlich! Das hätte ein Kabarettist nicht besser bringen können.

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