Für einen Moment sah es so aus, als würde die Situation erneut in Gewalt umschlagen. Doch in dem Moment, in dem Sebastian Markus die Hand erhob und Olaf Graf eine schützende Haltung einnahm, wurden Schritte auf dem Gang laut. Sebastian ließ von Olaf ab, beide setzten sich und versuchten, Normalität darzustellen. Es war Sabine Müller, die kurz darauf vor Olafs Schreibtisch stand. Sie müsse jetzt zu Roland, sagte sie, würde dann aber auch bald Schluss machen. Ob es denn bei ihrer Verabredung bliebe, wollte sie erneut wissen.
“Garantiert!”, sagte Olaf und streckte den Daumen hoch. “Dauert es lange beim Chef? Ich würde hier gern bald raus”, fügte er an, denn er wollte der Situation mit Sebastian Markus entgehen.
“Ich weiß nicht, was er will. Ich denke aber, es geht zügig. Er bringt die Sachen ja immer schnell auf den Punkt.”
Es dauerte tatsächlich keine zehn Minuten und Sabine Müller stand wieder vor Olaf Grafs Schreibtisch.
“Das ging wirklich sehr flott”, merkte er an. “Um was ging es denn?”
Sabine druckste herum. Es sei um ganz allgemeine Themen gegangen. Um die Stimmung in der Firma zum Beispiel, fügte Sabine noch an. Das war nicht gelogen, entsprach aber auch nicht der Wahrheit. Als sie das Büro von Roland Schmidt betrat, war dieser gerade dabei, eine eingeschlagene Fensterscheibe provisorisch zu verkleben. Sabine Müller nahm an, sie solle den Glaser rufen. Doch während Roland Schmidt das Fenster mit Papier abdichtete, teilte er ihr mit, die Stimmung in der Firma sei ausgesprochen schlecht, weil Olaf Graf und sein Kreis einen Betriebsrat gründen wollten. Sabine Müller wagte nicht, zu widersprechen, auch wenn sie die Stimmung in der Firma in dieser Hinsicht ganz anders wahrgenommen hatte. Als sie gestern die Teilnehmerlisten für die Betriebsversammlung anfertigte, waren die Kollegen mehrheitlich begeistert. Heute fühlte sie eine etwas größere Zurückhaltung und vereinzelt Unsicherheit in Bezug auf das Thema, die sie auf das Wirken von Sonja Zand und Sebastian Markus zurückführte, aber von einer grundsätzlichen miesen Stimmung merkte sie nichts.
Er habe gehört, setzte Roland Schmidt seine kleine Rede fort, er habe gehört, sie sei auf der Seite der Gewinner und wäre bereit, ihren Beitrag zum Wohl der Firma zu leisten. Sie würde sich anschließend mit Olaf Graf treffen, habe er gehört. Er wolle ihr jetzt eine Argumentationshilfe mit auf den Weg geben, warum die Idee, bei SCHOW einen Betriebsrat zu installieren, der größte Schwachsinn sei, den man sich vorstellen könne. Roland Schmidt gab ihr einen handgeschriebenen Zettel, auf dem er aufgelistet hatte, was für Wohltaten er welchem Mitarbeiter wann angedeihen lassen hatte. Sabine Müller las es durch. Die Lektüre machte sie unangenehm betroffen. Als sie das Blatt zusammenfalten und mitnehmen wollte, meinte Roland Schmidt “das muss im kleinen Köpfchen haften bleiben. Das Blatt bleibt hier”.
Diese eben durchlebte Geschichte konnte sie Olaf freilich nicht erzählen. Sie beschloss, das Thema zu wechseln.
“Es war eigentlich nur so ganz allgemein, was Roland wollte. Ich mache jetzt auch Schluss für heute. Sollen wir uns gleich im Foyer treffen?”, fragte sie.
“Ja, machen wir.Ich rufe Gregor an und sage ihm Bescheid.”
Während Sabine sich zurückzog informierte Sebastian Markus Sonja Zand und in CC Roland Schmidt per Mail über die Abläufe.
‘Verfolgung aufnehmen’, mailte Sonja zurück.
‘Warum? Sabine ist doch dabei.’
‘Ich will wissen, was da los ist und wie sie sich macht’, schrieb Sonja in einer Mail an Sebastian Markus und Roland Schmidt zurück. ‘Außerdem sieht das Roland auch so. Oder Roland!’
‘Wenn Sonja sagt, du sollst dran bleiben, dann bleib dran’, war Rolands Antwort, die er beiden zukommen ließ.
Sebastian stöhnte.
“Ich bin gleich weg, keine Sorge”, sagte Olaf, der dachte, das Stöhnen sei an ihn gerichtet, da er von dem regen Emailverkehr nichts mitbekommen hatte.