Die Betriebsversammlung 37

Da es Freitag war, war das Loft schon am späten Nachmittag gut besucht. Eine bunte Menge bestehend aus den Angestellten der umliegenden Bürotürme füllte die Bar. Es wurde auf die erfolgreiche Woche oder das beginnende Wochenende angestoßen, Krawatten wurden gelockert, Kragenknöpfe geöffnet, es wurde leger.
Olaf Graf, Sabine Müller und Gregor Bauer standen etwas ungünstig in unmittelbarer Nähe der Bar, dort, wo die Bedienungen Getränke aufnahmen und leere Gläser abstellten. Gregor erfragte, was die beiden zu trinken haben wollten. Olaf nahm ein Bier, Sabine Müller wollte ein Mineralwasser, medium, ohne Eis, aber mit Zitrone. Statt eines Kommentars hob sich über Gregor Bauers rechtem Auge die Braue. Die Getränke kamen, Gregor zahlte. “Die nächste Runde geht dann auf dich, Olaf.”
“Ich dachte, du trinkst nur eins?”
“Ich habe das Gefühl, wenn ich das hier getrunken habe, geht es mir gleich viel besser.”
“Ihr geht wohl sehr oft zusammen weg?”, erkundigte sich Sabine Müller.
“Nein, eigentlich nicht. Eher sporadisch. Erst in den letzten Tagen hat sich das geändert.”
“Ihr habt bestimmt viel zu besprechen wegen der Betriebsversammlung. Das muss alles gut organisiert werden”, meinte Sabine Müller.
“Organisiert ist das alles schon. Da gibt es gar nichts mehr zu tun. Aber es passiert jetzt viel. Da gibt es dann auch viel zu bereden.”
Die drei wurden unsanft von einer Bedienung, die sich Platz an der Theke verschaffen wollte, zur Seite gedrängt.  
“Es ist total ungemütlich hier. Ich weiß gar nicht, warum alle immer ins Loft wollen.” Sabine Müller hatte einen Teil ihres Mineralwassers medium ohne Eis dafür aber mit Zitrone verschüttet. 
“Wir können auch einfach vor die Tür gehen. Da kann man auch besser reden”, schlug Olaf vor.
“Und eine rauchen”, fügte Gregor hinzu.
“Du rauchst wieder?”, fragte Olaf Graf auf dem Weg nach draußen.
“Höchstens ein oder zwei am Tag. Nach der Arbeit und nur zur Entspannung. Ich muss mir nur noch eben eine Schachtel ziehen. Geht ihr schon vor.”
Olaf stand kurz darauf mit Sabine Müller vor dem Loft. Für einen ausgedehnten Moment herrschte Schweigen.
“Warum wolltest du dich denn mit mir treffen”, fragte Olaf schließlich, um einen Anfang zu setzen. 
“Ich will mit dir über den Betriebsrat sprechen. Roland macht sich wirklich Sorgen. Könnt ihr euch das nicht nochmal überlegen?”
“Du wurdest von Roland geschickt, um uns das zu sagen?” 
“Nein, nicht direkt.”
“Du wurdest indirekt geschickt? Wie soll ich das denn verstehen?” 
“Um was geht es? Halt mal bitte”, sagte Gregor, der sich zu den beiden stellte und Olaf ein frisch gezapftes Glas Bier in die Hand drückte, um seine Schachtel Zigaretten öffnen zu können. 
“Sabine wurde von Roland geschickt, um uns zu sagen, wir sollen die Betriebsversammlung abblasen.”
“Echt jetzt?” Olaf sah Sabine fragend an.
“Nein, so kann man das nicht sagen”, wiederholte sie. 
“Wie kann man es denn dann sagen?”, fragte Olaf. 
“Der Roland tut doch wirklich viel für die Mitarbeiter und die Firma”, sagte Sabine. 
“Das wird ihm ein Betriebsrat nicht verbieten. Wo ist sein Problem?” Gregors Schlagfertigkeit hatte durch das erste Bier rapide zugenommen. 
“Ja, aber der Betriebsrat kontrolliert ihn dann. Da ist doch der Roland gar nicht der Typ für. Für Kontrolle und so, meine ich.”
“Aber wir, wir sind so der Typ für Kontrolle”, konterte Olaf und deutete dabei auf Sebastian Markus, der mit einem Bier in der Hand eben aus dem Loft trat. “Der rennt uns jetzt schon den zweiten Tag hinterher.”
Sabine beschloss, zu einer weiteren Argumentationshilfe Roland Schmidts zu greifen. “Der Roland überlegt, die Firma zu verkaufen, falls es einen Betriebsrat geben sollte. Ein Investor hat Interesse.” 
“Und das glaubst du?”, fragte Olaf.
Sabine Müller wurde rot.

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