Für Sonja Zand waren die Wochenenden ganz regelmäßig eine Qual, denn es fehlte einerseits an Publikum und Applaus, anderseits war sie mehr oder weniger zum Nichtstun verdammt. Wenn es um die Ausgestaltung der gemeinsamen Freizeit ging, war Roland Schmidt ein schlechter Partner, ebenso schlecht wie als Liebhaber.
Roland Schmidt war meist völlig mit sich selbst beschäftigt, hatte allerlei elektronischen Krimskrams zur Hand, der ihn faszinierte, weshalb er es vorzog, damit seine Zeit zu verbringen anstatt mit Sonja, deren Anwesenheit er hinnahm, so lange sie nicht aktiv störte. Sonja machte inzwischen schon gar keine Vorschläge zur gemeinsamen Freizeitgestaltung mehr, denn sie wusste, Roland war unabkömmlich. Mal verwies er auf ein wichtiges technisches Problem, das ihn festhielt, mal verwies er darauf, dass ein Unternehmen zu leiten, eine Aufgabe sei, die keinen Feierabend und kein Wochenende kenne. Sonja Zand entgegnete auf diese Argumente, für Computerspiele und Online-Aktivitäten fände er doch auch Zeit, warum nicht auch für sie, woraufhin er auf die oftmals sehr zeitnah abzuwickelnden Geschäfte verwies.
“Wer will denn am Samstagmorgen um acht ein Geschäft abwickeln, das man nicht auch noch um zehn noch abschließen könnte?”, fragte sie jetzt, denn Roland hatte eben zu diesem Argument gegriffen, um nicht mit Sonja zum Bäcker zu müssen.
“Versuche nicht klug zu sein, das steht dir nicht”, antwortete Roland.
Sonja überlegte, welches Register nun zu ziehen sei? Schreien, weinen oder etwas werfen standen ihr zur Auswahl. Sie entschloss sich jedoch zu verzichten, denn alle ihr zu Verfügung stehenden Register waren im Verlauf der Zeit schon vielfach gezogen worden, ohne eine dauerhafte Verhaltensänderung auf Rolands Seite bewirkt zu haben. Sie hatten sich abgenutzt.
Was würde sie heute tun, fragte sie sich nun, denn ihr war klar, würde sie auf einen Vorschlag Rolands warten, würde sie Staub ansetzen. Sie konnte zum Friseur und sich anschließend neue Nägel machen lassen, dachte sie. Damit wäre der Vormittag zugebracht, obendrein hätte sie bei diesen Tätigkeiten genug Zeit, darüber nachzudenken, was am Nachmittag zu tun sei. Sie würde, nahm sie sich vor, auch bei Sebastian Markus mal anfragen. Der hatte sicherlich Zeit für sie. Sie könnten dann neben dem Üblichen auch noch das weitere Vorgehen hinsichtlich des Betriebsrates besprechen.
“Ich bin mal gespannt, wie das wird, wenn die Firma einen Betriebsrat hat”, sagte sie zu Roland Schmidt. Wenn sie schon keine Zuwendung haben konnte, dann wollte sie wenigstens eine andere, starke Reaktion. Und die bekam sie auch.
“Dir hat wohl einer ins Hirn geschissen! Warum bist du jetzt auch gegen mich?”
“Wie bitte? ‘Mir ins Hirn geschissen’? Wie redest du mit mir? Und überhaupt, du sitzt hier rum und spielst, statt etwas zu unternehmen.”
“Der Tietz ist zuständig. Der regelt das.”
“Der Tietz, der Tietz, der Tietz…. Der Tietz hat es die letzten Tage nicht hinbekommen, er wird es auch die nächsten Tage nicht gerade biegen. Und weißt du warum? Weil der Tietz nichts macht, deshalb!”
“Der Tietz macht natürlich was, was erzählst du da für einen Schwachsinn?”
“Mir hat jemand ins Hirn geschissen, aber du bist total bescheuert. Der Tietz spielt ein doppeltes Spiel. Hast du mal gesehen, wie der die Gottschalk anguckt? Wahrscheinlich nicht, denn dann wüsstest du Bescheid.”
Sonja war sich sicher, das würde reichen. Die kleine Saat des Misstrauens würde aufgehen und ihr zum Gefallen große, bunte Blüten treiben. Natürlich war Roland Schmidt nicht entgangen, wie Wolfram Tietz Caroline Gottschalk ansah. Keinem in der Firma konnte das entgehen. Sonja hatte nun für eine neue Deutung der Blicke des Wolfram Tietz gesorgt, die Roland Schmidt das ganze Wochenende umtreiben würde. Sie konnte sich zurückziehen.
“Gehst du jetzt zum Bäcker?”
“Nein! Im Gegensatz zu dir verlasse ich mich nicht auf den Tietz. Ich habe einiges zu erledigen.” Sie ging ins Bad und schlug die Tür hinter sich zu.
Auch Gregor Bauer war gerade wieder auf dem Weg ins Bad. Nach drei Tassen Kaffee, einer Aspirin und einem Bier ging es ihm etwas besser. Die Menge an Flüssigkeit suchte sich nun aber ihren Weg. Vielleicht sollte er duschen, dachte er, als er sich stehend erleichterte. Das würde seine Ausnüchterung bestimmt beschleunigen.
“Sag mal, kann ich schnell mal duschen?”, rief Gregor zur Tür.
“Klar, ich bringe dir ein Handtuch.”
Als Olaf kurz darauf klopfte, öffnete Gregor nackt weit die Tür und nahm das Handtuch entgegen. Olaf sah ihn an, Gregor blickte zurück.
“Ich mache uns noch einen Kaffee”, sagte Olaf.
“Wir könnten auch zusammen duschen”, schlug Gregor vor.
“Ich glaube, das ist keine so gute Idee.” Olaf lehnte ab und ging in die Küche.
Dort dachte er nach. Vor einigen Monaten erst, da hatte er diese stürmische Affäre mit Jürgen gehabt. Jürgen war verheiratet, was ihn nicht daran hinderte, seine gleichgeschlechtlichen Fantasien mit Olaf auszuleben. Zunächst war das für beide gut. Doch als Olaf Jürgen eines Tages in Begleitung seiner Frau beim Einkauf gesehen und dieser Olaf ganz absichtsvoll übersehen hatte, setzte Ernüchterung ein. Bei seinem nächsten Besuch meinte Olaf zu Jürgen, eine ganz lockeres “Hallo” bei einem zufälligen Treffen in der Öffentlichkeit sollte schon drin sein. Daraufhin meinte Jürgen, es täte ihm Leid, aber das ginge nicht. Er sei nicht schwul, er könne es sich auch nicht leisten, mit sowas in Verbindung gebracht zu werden. So viel Diskretion müsse Olaf ihm schon zusichern. Olaf beendete die heiße Affäre mit Jürgen auf der Stelle. Er nahm sich vor, sich nie wieder auf eine derartige Liaison einzulassen. Zu sagen wäre noch, dass Jürgen in Olafs Leben nicht der erste, lediglich der krasseste seiner Art war.
Olaf hatte nun in keiner Weise Veranlassung, dieses sich selbst gegebene Versprechen wegen Gregor zu brechen, zumal sie mit der Einladung zur Betriebsversammlung etwas mehr verband, als ihn und Jürgen, wodurch sich die Angelegenheit zusätzlich komplizieren könnte. “Lass bloß die Finger weg”, flüsterte Olaf sich selbst zu, drehte den Wasserhahn auf, füllte den Wasserkocher, legte Filterpapier in einen Kaffeefilter und zählte fünf Löffel Kaffeepulver ab. Bei Löffel Nummer drei hatte er sich schon verzählt.