Die Betriebsversammlung 44

“Danke”, sagte Gregor Bauer, als Olaf Graf seinen Kaffeebecher füllte. Gregor saß mit einem Handtuch um die Hüften auf dem Sofa, die Arme weit auf der Rückenlehne ausgestreckt, den Oberkörper zurückgelehnt, die Beine weit auseinander. Es schien, als wolle er so viel Raum wie möglich einnehmen.
“Wie sieht dein Tag heute aus?”, fragte Olaf Graf, der sich inzwischen wünschte, Gregor würde bald gehen. Er brauchte eine Pause und etwas Zeit für sich selbst.
“Ich weiß noch nicht. Heute Abend wollte Anna kommen. Das ist aber noch nicht ganz sicher.”
“Wer ist Anna?”
“Meine Freundin.”
“Stimmt. Du hast eine Freundin. Das hast du neulich erwähnt.” Olaf rieb sich mit einem Finger über der Augenbraue.
“Wir könnten was zu dritt unternehmen.”
“Ich würde gern, aber heute Abend kann ich leider nicht”, log Olaf.
“Schade.” Gregor Bauer beugte sich nach vorn, um seinen Kaffee zu greifen. “Wie machen wir denn jetzt weiter. Ich meine betriebsratsmäßig.”
“Wir nutzen das Wochenende zur Erholung. Nächste Woche kommt einiges auf uns zu, würde ich mal aus den vergangenen Tagen schließen. Wir können uns morgen Abend nochmal mit Caroline treffen, falls uns was Wichtiges zu besprechen einfällt.”
“Das sollten wir auf jeden Fall tun”, fand Gregor. “Morgen um 18 Uhr hier bei dir? Ich sage Caroline Bescheid.”
Olaf Graf fühlte sich überrumpelt. Dennoch sagte er zu, denn er hatte die Hoffnung, das würde Gregor schneller aufbrechen lassen. Falls er keine Lust haben sollte, konnte er das Treffen immer noch absagen. Olafs Rechnung ging auf. Gregor trank seinen Kaffee aus und sagte schließlich “So, ich werde dann mal …”,  erhob sich vom Sofa, ließ dabei sein Handtuch wie zufällig von den Hüften gleiten und bot dadurch Olaf volle Draufsicht. Dann suchte er seine Sachen zusammen, die noch weithin verstreut im Zimmer lagen. Er zog seine Socken an, schlüpfte dann in sein T-Shirt, um sich schließlich die Unterhose anzuziehen.
“Ungewöhnliche Reihenfolge”, kommentierte Olaf.
“Mache ich immer so.”
Olaf bezweifelte das, sagte es aber nicht.
Wenige Minuten später schloss er die Tür hinter Gregor, der ihn zum Abschied auf die Wange geküsst, über den Kopf gestreichelt und “mach’s gut Großer” ins Ohr geflüstert hatte.
“Puh”, sagte Olaf als er mit dem Rücken an seiner Wohnungstür lehnte, “das war eine Spur zu intensiv.”
Er begann mit seiner Wochenendroutine. Wäsche waschen, Wohnung sauber machen und schließlich einkaufen gehen. Immer wieder dachte er an Gregor Bauer, wie er ihn gestern ins Bett gebracht hatte, wie er neben ihm gelegen und ihn umarmt hatte, wie er völlig verkatert, mit zerzaustem Haar aufgewacht war, wie er ihn zum duschen eingeladen hatte. All diese Gedanken waren wie lästige Fliegen, die Olaf versuchte, aus seinem Bewusstsein zu verscheuchen, die sich aber einen Moment später wieder dort einfanden und die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Jetzt bereute er fast, das Angebot des gemeinsamen Duschens ausgeschlagen zu haben. “Mist”, dachte Olaf, als er Wäsche zum Trocknen aufhing. “Das läuft völlig aus dem Ruder.”

Der Vormittag von Sonja Zand hingegen verlief weit weniger erotisierend. Dafür kam sie am Nachmittag auf ihre Kosten. Nachdem sie wie geplant den Friseurbesuch hinter sich gebracht hatte, rief sie auf dem Weg zum Nagelstudio Sebastian Markus an. Sie wolle ihn wegen wegen des Betriebsrates sprechen, gab sie vor. Sie müssten ihre Aktionen in der kommenden Woche abstimmen. Sebastian Markus war dem Abstimmen von Aktionen nicht abgeneigt, weshalb er zusagte. Sonja könne am Nachmittag bei ihm vorbei kommen, er wolle eben noch ein bisschen in die Muckibude und sich aufpumpen. Anschließend hätte er für alles Zeit, was ihr Spaß machen würde. Sie dürfe dann auch mal seine prallen Muskeln anfassen und alles, was dann sonst noch prall an ihm wäre. “Du kleines Schweinchen”, sagte Sonja kichernd, “bis später”, und legte auf. Ihren Termin im Nagelstudio erlebte Sonja daraufhin als Zeit, die eine unnötige Spannung entstehen ließ. Eine Spannung, die sie körperlich spürte. Natürlich wollte Sonja Zand mit Sebastian Markus auch über den Betriebsrat sprechen. Aber die Betonung lag inzwischen auf “auch”, denn die Erfüllung ihres sexuellen Begehrens stand für sie plötzlich im Vordergrund. “Sebastian ist einfach ein geiler Ficker”, dachte sie, während sie von Ying aus Thailand ihre Nägel gefeilt bekam.
Heute morgen war es noch genau andersherum gewesen. Da ging es ihr tatsächlich zunächst um Maßnahmen zur Verhinderung eines Betriebsrats und dann, auf Platz zwei sozusagen, um ein bisschen Rumgemache mit Sebastian Markus. Und das eher mit dem Gedanken, ihn zu willfährig zu machen, denn aus eigenem Bedürfnis.

“Warum bist du eigentlich mit Roland zusammen? Der heiratet dich sowieso nie”, fragte Sebastian Markus, nachdem Sonja und er sich gegenseitig Höhepunkte bereitet hatten und sich bei Sebastian Markus Erschöpfung einstellte.
“Wie kommst du da jetzt drauf?”, fragte Sonja, die ihren Rock zurechtrückte.
“Ich meine nur. Er bringt es im Bett nicht, er behandelt dich scheiße. Warum er? Warum nicht jemand anders. Ich zum Beispiel?”
“Machst du Witze? Er hat eine Firma. Du hast ja noch nicht mal ein Auto, das zuverlässig fährt. Was kam eigentlich bei dem Abend mit Müller und Graf raus?”
“Nichts. Die haben sich unterhalten.”
“Und über was?”
“Keine Ahnung, ich war zu weit weg.”
“Du kannst auch nur gut ficken und sonst gar nichts, oder? Rufe mal die Müller an und frage nach.”
“Jetzt?”
“Nein, nächstes Jahr zu Ostern. Natürlich jetzt!” Sonja Zand war in bester Stimmung.

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