Unmittelbar nachdem Javier das Gespräch mit Markus Spiegel beendet hatte, klopfte seine Assistentin erneut. Javier ließ sie eintreten. Donatella aus der italienischen Schweiz setzte das in der Galerie verpflichtend zu tragende Hybridlächeln auf während sie die riesige Milchglastür aufschob, die Javiers Büro vom Ausstellungsbereich abtrennte. Donatella kam aus der italienischen Schweiz und war eine Schönheit. Schwarzes Haar, weißer, fast durchscheinender Teint, elegante Züge, ausgesuchte Umgangsformen. Sie wisse, Javier sei sehr beschäftigt, weshalb sie sich dafür entschuldigte, Javiers Zeit in Anspruch nehmen zu müssen, es würde aber von zwei Künstlern wegen der Abrechnung Fragen geben.
Javier antwortete, er würde ihr gerne helfen und hoffe, sie würden gemeinsam eine Lösung finden.
Sie hybridlächelten sich an.
“Daniel Mersiowsky und Alexandre Ibrahim verstehen ihre Abrechnungen nicht. Sie meinen, es würde ihnen etwas mehr zustehen. Ich habe es versucht zu erklären, aber sie wollen es von dir hören. Könntest du einen Moment deiner Zeit erübrigen und die beiden anrufen. Es geht nicht um große Beträge.”
“Es sind immer die Juden!”
Für einen Moment verrutschte Donatellas Hybridlächeln. Javier nahm es wahr und fühlte mangelnde Unterstützung für seine Position. Ihm war sofort klar, ihre Wege würden sich trennen müssen.
“Sowohl Daniel als auch Alexandre bekommen alle drei Monate hunderttausende von Dollar überwiesen. Alle anderen sagen ‘Danke!’ und sind still. Aber die beiden? Nein? Die fragen wegen hundert Dollar nach. Na gut. Ich kümmere mich drum.”
Donatella hatte zu ihrem Hybridlächeln zurückgefunden und bedankte sich.
Nachdem Donatella das Büro verlassen hatte, schrieb Javier zunächst eine Mail an seinen Assistenten Hannes Knecht. Donatella sei sicher im Lager besser aufgehoben als hier im Ausstellungsbereich der Galerie. Hannes soll ihr das mitteilen. Er würde mit ihr demnächst selbst noch ein Personalgespräch führen.
Dann schrieb er einen etwas nettere Mail an Daniel Mersiowsky und eine deutlich weniger nette an Alexandre Ibrahim. Den einen mochte er etwas mehr, den anderen weniger, soweit man unterstellen möchte, dass Javier in der Lage war, Menschen zu mögen. Im Grunde seines Herzens war er zu einer derartigen Regung tatsächlich nicht fähig. In seiner Welt ging es nur um ihn, seine Bedürfnisse, seine Gefühle. Mitgefühl mit anderen, Empathie waren Javier völlig fremd. Menschliche Begegnungen verliefen daher immer gleich. Zunächst wurde das Gegenüber völlig überhöht, mit magischen Attributen und unglaublichen Fertigkeiten ausgestattet. Das kippte dann nach einiger Zeit ins genaue Gegenteil. Bei seinen Mitarbeitern dauerte dieser Prozess in der Regel ein bis anderthalb Jahre. Dann wurden sie gefeuert. Donatella war jetzt 13 Monate in der Galerie. Die Ausnahme war Hannes Knecht. Er war der Schutzwall, der Javier einerseits abschirmte, er war aber auch derjenige, der ohne nachzufragen jedwede Drecksarbeit bereit war, auszuführen.
In Bezug auf seine Künstler dauerte der Prozess etwas länger, denn sie brachten erstens mehr Geld und die Kontakte waren nicht so häufig wie die mit seinen Mitarbeitern. Zwischen drei und fünf Jahren reichte hier die Zeitspanne. Daniel arbeitete sei gut einem Jahr mit Javier, Alexandre befand sich im dritten.