Javier 14

Javier kaute an den Nägeln und wartete unter stetig wachsender Panik auf Jannis, den wichtigen Sammler zeitgenössischer Kunst und potentiellen Kunden für die Werke des Newcomers Daniel Mersiowsky. Würde es gelingen, Jannis für Daniels Kunst zu begeistern, würde es Javier reich machen. Gier mischte sich in das Gefühl der Panik. Javiers Herz klopfte heftig gegen seine Brust, es tat fast weh.
Javiers Blick fiel auf der Suche nach Ablenkung auf seine neueste Errungenschaft, die noch verpackt in einer Ecke seines Büros stand. Ein Kasten aus Holz, ihn ihm eine Maske, die ein längst der Globalisierung zum Opfer gefallener afrikanischer Stamm zu magischen Ritualen benutzt hatte. Javier hatte sie einem belgischen Sammler abgekauft.
Für eine Romanfigur ist es fast ein bisschen viel an Klischee, aber ja, Javier sammelte Masken. Nicht, weil in jedem Psychologielehrbuch steht, dass jemand von der psychischen Konstitution Javiers in der Regel auch ein Faible für Masken hat, sondern weil es wirklich so war. Er sammelte Masken aus dunklem Holz. Alte, magische Masken, meist aus Afrika aber auch aus Ozeanien. Masken, die für rituelle Tänze, für Zauber benutzt wurden. Er holte die Kiste mit der Maske und stellte sie auf den Schreibtisch. Der Deckel war zu seiner Überraschung leicht zu öffnen. Mit einer Schere hebelte er den Deckel auf, der sofort nachgab. Er schob das Füllmaterial zur Seite und hob vorsichtig einen in Polsterfolie verpackten Gegenstand aus der Kiste. Er wickelte die Folie ab und dann stand die Maske vor ihm.
Javier roch zunächst an dem alten Holz, das deutliche Spuren von Termitenfraß aufwies. Es hatte diesen dumpfen, leicht modrigen Geruch, den Javier schätzte, der ihn in einer merkwürdigen Weise erregte. Er machte ihm Angst, aber in einer angenehmen Weise, ein angenehmes Schauern befiel ihn, das seine Panik vor dem Besuch Jannis‘ ersetzte. Mit der Hand griff er in den Hohlraum der Maske, oben, am Kopf war eine weitere, kleine Vertiefung eingearbeitet, dort erfühlte Javier ein Tuch. Schnell, mit einer Mischung aus Ekel und Faszination zog er seine Hand zurück. Er wusste in dem Tuch waren Dinge, Zähne oder Knochen, vielleicht auch Haare, die der Maske ihre magische Kraft verliehen. Er hob die Maske weiter an, roch an der Innenseite, das angenehm gruselige Gefühl intensivierte sich. Javier setzte die Maske schließlich auf. Es war, als würde er eine andere Welt betreten, als würde die Maske ihre magische Wirkung tun. Alle Angst war gewichen, alles war plötzlich weit weg, er war in Sicherheit. Es fühlte sich auch an wie Kindheit, aber eine sichere, geborgene Kindheit, ohne die Männer seiner Mutter, den Missbrauch und Schmerz.
Und auch wenn Javier niemals nach Afrika fahren würde, niemals die magischen Rituale eines Stammes sehen würde, da seine Angst vor den Entbehrungen einer solchen Reise, vor schwerer Krankheit und der Andersartigkeit der Menschen dort zu groß war, war er dennoch für einen Moment einem afrikanischen Maskenschnitzer dankbar, den er jedoch nur aus der Distanz schätzen konnte, da er ihn als konkretes Gegenüber wegen seiner Hautfarbe, seines Denkens, seines Aussehens, eigentlich wegen allem verachtet hätte.
Es klopfte, Donatella öffnete die Tür und Jannis trat ein. Javier drehte sich um, sagte “Buh” und sezte die Maske ab. Er lächelte. “Na Kumpel, bist du erschrocken?”
“Du bist so ein lustiger Typ”, sagte Jannis. “Das mag ich an dir.”

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