Eines schönen Abends war ich mit Freunden unterwegs. Ich habe noch welche, sogar hier bei uns in Deutschland. Allerdings hat sich auch eine erstaunlich große Anzahl von mir abgewandt, nachdem ich mich im Verhältnis zu Russland eindeutig positioniert habe.
Insbesondere Vertreter des links-intellektuellen Milieus und der queeren Community halten Diversität immer nur unter bestimmten Prämissen aus. Sobald Russland in irgendeiner Weise involviert ist, hört die Liebe zur Buntheit und der Vielfalt der Kulturen freilich schlagartig auf.
Bei Tarek, den ich an diesem Abend kennen lernen sollte, war es ebenso. Ich trank im Freundeskreis in einer Berliner Herrenbar Bier, nach einer Weile gesellte sich eine weitere kleine Gruppe zu uns. Ich wurde in ein Gespräch über meine Brille verwickelt. Brillen sind gerade chic, ich allerdings brauche eine, weil ich mich ohne sehr eingeschränkt fühle. Neben Brillen sind auch Schnauzer in Berlin gerade ganz groß im Kommen. Tarek, der sich inzwischen vorgestellt hatte, trug einen. Schnauzer, langes dunkles Haar, war um die einsneunzig groß, schlank und hatte einen südländischem Einschlag . Wir sprachen darüber, was wir beruflich machen. Tarek war einer der zahlreichen Berliner Hartz 4-Künstler. Er hoffte auf die große Karriere. Ich wollte nicht in eine Diskussion über die Problematik des zeitgenössischen Kunstmarktes einsteigen, nickte daher einfach anerkennend.
Was ich machen würde, wollte Tarek nun wissen. Ich sagte, ich hätte zwei Jobs, der erste sei in der Sozialpsychiatrie im Bereich Sucht, nebenher würde noch Artikel für RT schreiben.
Tareks Gesichtsausdruck änderte sich. „Wie kann man als LGBT-Person für einen russischen Propagandasender arbeiten?“, wollte er wissen. Damit war eigentlich klar, dass wir nicht mehr wirklich zusammen kommen würden. Weniger, weil er RT für einen Propagandasender hielt, denn das tun in Berliner Herrenbars eigentlich alle. Das kannte ich schon.
Es war mehr das Attribut LGBT-Person. Ich verstehe mich nicht als LGBT-Person. Generell verstehe ich mich nicht als Person, sondern als Mann. Und wenn es schon unbedingt um eine Beschreibung unter Einschluss meiner sexuellen Orientierung geht, dann bevorzuge ich „schwuler Mann“. LGBT-Person scheint mir despektierlich und respektlos gegenüber meinem Geschlecht.
Ich vertiefte das jedoch nicht, sondern versuchte Tarek verständlich zu machen, dass ich RT zwar für eine Nachrichtenplattform mit einer bestimmten Blattlinie halte, jedoch nicht für einen Propagandasender.
Über was ich denn schreiben würde, wollte er wissen.
Oft über LGBT-Themen, antwortete ich, ein bisschen auf den Überraschungseffekt und auf Anerkennung schielend.
„Was!? Du schreibst für einen homophoben Staatssender über uns?“ Tarek witterte irgendeine Form von Verrat. Die Überraschung war gelungen, die Anerkennung blieb aus.
Ich versuchte die Weise der Zusammenarbeit darzulegen. Ich schrieb zu Hause vor mich hin, erklärte ich. RT übernahm die Artikel und veröffentlichte sie mit minimalen, meist lediglich orthographischen Korrekturen.
Tarek war in keiner Weise zufrieden.
„Du förderst Homophobie mit dem, was du da tust!“
Mir war der Zusammenhang jetzt nicht ganz klar, weshalb ich nachfragte. Es ergoss sich ein Redeschwall über mich, der wenig Erhellung brachte. Der Zusammenhang blieb auch danach noch verschlossen.
Was ich verstand, war, dass Homophobie ein weltumspannendes Problem war. Schlimmer noch als Krieg und Hunger. Und was ich weiterhin verstand, war, dass nach Tareks Meinung einer der stärksten Motoren der Homophobie Russland und allen voran dessen Präsident Putin war.
Ich versuchte am Begriff der Homophobie anzusetzen, fragte daher, was das denn genau sein sollte. Die Antwort blieb in einer gewissen Unschärfe stecken. Irgendwie war einfach alles homophob, was nicht sofort einen bestimmten, in meinen Augen allerdings sehr unfreien und einschränkenden Lebensstil aus dem Stand heraus supertoll fand.
„In Russland ist es ganz schlimm. Grausame Verbrechen gegen LGBT-Personen, Mord und Totschlag seien da an der Tagesordnung.“
„Jetzt mach aber mal einen Punkt!“, meinte ich. „Das meinst du doch nicht ernst?“
Das sei erwiesen, warum ich das leugnen würde, wollte Tarek wissen. Und überhaupt, wegen Menschen wie mir, würde die Homophobie auch bei uns wieder zunehmen.
„Wegen mir?“
Erst neulich sei er in Berlin als Schwuchtel bezeichnet worden. Vermutlich waren es Russen.
„Woher willst du wissen, dass es Russen waren? Und warum nennen die dich einfach so Schwuchtel?“, wollte ich wissen.
Tarek erklärte er sei auf dem Rückweg von einer Demo gewesen. In kurzem Rock und in Highheels. In Alt-Treptow sei es dann zu dem Vorfall gekommen.
„Moment!“, sagte ich, „Du läufst in kurzem Rock und bestöckelt durch Alt-Treptow und wunderst dich, dass das kommentiert wird?“
„Das ist mein Protest gegen Patriarchat und Kapitalismus! Das muss respektiert werden! Wenn diese russischen, faschistischen Arschlöcher meinen, ihre beschissene homophobe Putin-Ideologie hier leben zu müssen, dann müssen wir dagegen angehen und es verbieten!“
Ich blickte in mein Glas. Es war fast leer und ich war plötzlich auch sehr sehr müde.
Eine feine Reihe, welche du da aufstellst, Gert Ewen. Danke!
Ich weise auf deine Schlaglichter hin:
https://bumibahagia.com/2017/11/10/von-einem-der-damit-begonnen-hat-russland-genauer-anzuschauen/
Ich lese deine Beiträge hier und bei RT mit großem Interesse. Sie sind informativ, ausgewogen, menschlich und ich kann sie nachvollziehen im Gegensatz, leider, zu vielem, was so an Russophobem in die Welt gesetzt wird. Ich kann mir auch vorstellen, wie schwierig dein Leben geworden ist. Chapeau!
Also zeige Deinen Kumpels mal bitte dieses Video (https://www.youtube.com/watch?v=tVj0ZTS4WF4).
Dahinter verbirgt sich ein Sänger namens Vitas, welcher in Russland schon ausserordentlich populär war/ist.
Zugegeben,’offiziell‘ ist er verheiratet. Ansonsten ist der Auftritt schon spektakulär. Und das LÄUFT in Russland.