Fin de siècle 2

Sebastian hatte am darauf folgenden Tag kurzfristig zu seiner heiteren Stimmung zurück gefunden. Wir hatten das Gefühl, uns würde ein Abenteuer bevorstehen. Kurz nach dem Frühstück begann es auch schon und sorgt wiederum für Stimmungswandel, denn Sebastin erhielt eine Email, die besagte, dass sich die Hochzeitsgesellschaft nicht wie geplant in der Nähe der Inselhauptstadt Santa Cruz de Teneriffe versammeln würde. Es habe ein kleines Missverständnis gegeben, denn der Vermieter der Villa, in der die Hochzeit ursprünglich abgehalten werden sollte, war, wie sich zur Überraschung der Verlobten und des Weddingplaners herausstellte, nicht der Eigentümer. Der Eigentümer wiederum hatte die als Vermieter auftretende Person gar nicht zur Vermietung autorisiert. Zumindest würde das der Eigentümer behaupten, während der Vermieter wiederum das Gegenteil behauptete. Man wäre den genauen Abläufen jedoch auf der Spur, denn man hätte ja auch schon im Voraus bezahlt, es wäre aber im Moment nicht so klar, bei wem das Geld gelandet sei. Sowohl vermeintlicher Vermieter als auch vermeintlicher Eigentümer würden versichern, niemals auch nur einen Cent erhalten zu haben. Jedenfalls, so setzte sich die Email fort, sollte man sich keine Sorgen machen, denn der Weddingplaner, ein ganz wundervoller Freund aus Ohio, hätte bereits eine wundervolle und zentral gelegene Alternative gefunden. Die Adresse und eine genaue Wegbeschreibung würde in einer weiteren Email in wenigen Minuten folgen.

Sebastian sagte etwas Unhöfliches, in dem unter anderem das Wort „typisch“ vorkam. Tatsächlich erhielt er zwei Stunden später, es ging bereits auf Mittag zu, eine weitere Mail, mit einer sehr vage gehaltenen Wegbeschreibung. Man konnte sie in zweifacher Weise auffassen. Eine erste Deutung besagte, die Villa, in der die Hochzeitszeremonie in wenigen Stunden abgehalten werden sollte, läge im Zentrum der Inselhauptstadt Santa Cruz de Teneriffe.  Die zweite und die nach Sebastians Einschätzung wahrscheinlichere Lesart ergab, dass die Hochzeitsgesellschaft irgendwo im Zentrum der Insel zusammen kommen würde. Das höhere Maß an Wahrscheinlichkeit ergab sich für Sebastian weniger aus dem Inhalt als vielmehr aus der Tatsache, dass die zweite Variante die für alle Beteiligten wesentlich umständlichere und insgesamt absurdere war. Sebastian hatte keine hohe Meinung von Andrew und auch das Wenige was da an Höhe vor einigen Stunden noch verblieben sein mochte, war im Begriff dahinzuschwinden.

Statt eine weitere Email zu schreiben, sann Sebastian darauf, das Verfahren abzukürzen, und griff zum Telefon. Es ging niemand ran. Sebastian hatte eine erste, noch recht wohl temperierte Aufwallung. Ich versuchte für Abkühlung zu sorgen, indem ich die beiden möglichen Deutungen mit Kartenmaterial aus dem Internet verglich, aber schnell war ich dabei, einfach nur ziellos drauf loszuklicken. Das Chaos der anderen begann sich auf uns zu übertragen. Dann fand ich allerdings mehr oder weniger zufällig eine Möglichkeit, den Weg unserer Deutungsvariante 2 mit dem Weg der Deutungsvariante 1 zu verbinden. Wir konnten also durch das Zentrum der Inselhauptstadt fahren, falls sich die beschriebene Villa dort nicht finden lassen würde, konnten wir nahezu ohne Umweg unseren Weg einfach ins Zentrum der Insel fortsetzen und würden dann, so nahm ich an, dort auf das Brautpaar und die Gäste stoßen. Es galt nur, nun auch zügig aufzubrechen, denn falls sich Deutungsvariante 2 als richtig erweisen sollte, waren wir schon recht spät dran. Das trug wiederum nichts zum Wiedererreichen von Sebastians Ruhe und Gelassenheit bei, denn nun wurde es hektisch. Das von Andrew und Susan mühsam ausgearbeitete Chaos war nun vollständig über uns gekommen.

Duschen, anziehen, ab ins Auto und los. Nach einer Fahrt von zwanzig Minuten erreichten wir das Ziel von Deutungsvariante 1 und was soll ich sagen? Lieber nichts. Wir fuhren einfach weiter. Schweigen. Nach etwa fünf Kilometern begannen wir zu lachen.

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