Fin de siècle 5

Wir fuhren ein bisschen hin und her, hoch, überwiegend aber eher hinunter, bogen von schmalen Straßen auf noch schmalere und von dort auf Wege und Pisten ab, um schließlich, unser GPS machte uns darauf aufmerksam, jenseits kartografierten Geländes im Nirgendwo zu landen. In dieses Nirgendwo hinein hatte jemand vor langer langer Zeit eine beachtliche Finca errichten lassen, die vor etwas kürzerer Zeit um einen ebenso beachtlichen Pool und eine weitläufigen, parkähnlichen Außenanlage ergänzt worden war. Uns wurde bedeutet, zu parken. Wir tatens, stiegen aus und wurden am Eingang mit Sekt empfangen. Der Taxifahrer machte sich auf den Weg, denn es waren noch mehrere Gruppen von Feierwilligen abzuholen. Wie inzwischen zu erfahren war, erwartete man etwa einhundertfünfzig Personen im Nirgendwo. Wir waren inzwischen knapp zwanzig, es konnte also noch eine Weile dauern.

Nach einem kleinen Rundgang durch die Anlage fand ich Sebastian angeregt plaudernd bei der blöden Kuh. Ich gesellte mich dazu, kam aber offenbar zur Unzeit. Das Thema war, wie es Sebastian in Deutschland gefiel. Sebastian ließ in seiner Beschreibung des und der Deutschen kein Klischee aus, malte jedes noch schreiend grell an und entließ es dann in den Gehörgang seiner Zuhörerin. Dort kitzelte es sie, entlockte ihr ein Kichern. Sie fragte nach, ob das alles auch wirklich, wirklich! so sei, was Sebastian beteuerte, noch einen drauf setzte, woraufhin sich das Kichern zum Lachen auswuchs, das nach einer weiteren Bemerkung Sebastians ins Höhnische kippte. Warum Sebastian das tat, wusste ich nicht zu sagen. Jedenfalls hatte seine Beschreibung des Deutschen mit seiner tatsächlichen Erlebniswelt reichlich wenig zu tun, denn seine Kontakte mit Inhabern eines deutschen Personalausweises hielten sich in ganz überschaubaren Grenzen. Eigentlich gab es da nur mich und ich hatte mit dem von ihm skizzierten Bild des Deutschen keinerlei Überschneidung. Ansonsten gab es da nur noch sporadische Kontakte mit Taxifahrern, die meist damit endeten, dass Sebastian beleidigt war, weil er Absicht unterstellte, dass sie den Straßennamen, den er nannte, nicht verstanden. Dabei war es tatsächlich schwer, aus seinen Lautungen auf eine tatsächliche Benennung zu schließen. Es benötigte zumindest ein gehöriges Maß an Fantasie. Fantasie aber ist nicht notwendige Voraussetzung für das Ergreifen des Jobs des Taxifahrers, Ortskenntnis ist da hinlänglich.

Jedenfalls wünschte ich, ich hätte der eben erlebten Szene nicht beigewohnt, denn sie war recht peinlich. Ich schämte mich für Sebastian und rätselte, was ihn zu diesem reichlich kulturchauvinistischen Unsinn bewogen haben mag.

Für den Fortgang des Abends, und das mag auch der ausschlaggebende Grund für Sebastians Entgleisung abgegeben haben, galt er als Experte für Deutschtum. Von diesem eben erworbenen Expertenstatus machte er zur Erheiterung seines Publikums noch mehrfachen Gebrauch. Ich versuchte nicht hinzuhören, was mir aber nur bedingt gelang. Zu groß war die Diskrepanz zwischen Sebastians tatsächlich recht ghettoisiertem Dasein in einem recht isolierten Umfeld mit Menschen mit ausschließlich gleichen Interessen und seinem jetzigen Auftreten als Kenner deutscher Sitten und Gebräuche, die es in der beschrieben Form vermutlich nie gegeben hat und gegenwärtig mit absoluter Sicherheit nicht gibt. Und natürlich, ja! wie sollte es anders sein? Im Herzen alles Nazis. Es mag das Arische in mir gewesen sein, das mich im Innern zu einem Spaziergang drängte, weg vom Ort der Peinlichkeit.

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