“Wir können nachher weiterreden, danke!”, sagte Wolfram Tietz zu Miriam gewandt. Miriam schaute irritiert, erhob sich und verließ das Zimmer. Vielleicht, so dachte sie auf dem Weg in ihr mit Caroline Gottschalk geteiltes Büro bei sich, vielleicht ist das mit dem Betriebsrat doch keine so gute Idee. Gestern und auch heute morgen noch, war Miriam voll und ganz für einen Betriebsrat gewesen. Sie fand die Idee gut, einen Arbeitnehmervertretung zu haben, schließlich hatte sie in Auseinandersetzungen mit sowohl Tietz als auch Schmidt schon mehrfach in Dinge eingewilligt, die dann zu ihrem Nachteil waren. Doch nach diesem Gespräch sah das Ganze schon ganz anders aus. Tietz jedenfalls hatte relativ schwerwiegende Argumente vorgebracht, die gegen ein solches Gremium sprachen. Miriam nahm sich vor, mit Caroline zu reden.
So fanden gleichzeitig zwei Gespräche statt. Denn während sich Miriam mit Caroline über das Für und Wider eines Betriebsrates unterhielt, informierte Wolfram Tietz Roland Schmidt darüber, wie man eine solche Interessenvertretung auf jeden Fall verhindere und warum das nicht so einfach in einem Tag zu machen sei.
Er habe, so ließ Tietz Roland Schmidt wissen, den Anführer ausgemacht. Es sei Olaf Graf. Er führe das Wort, die anderen beiden agierten eher im Hintergrund, wären vermutlich bloße Mitläufer.
Gleichzeitig, aber zwei Etagen tiefer, teilte Miriam ihrer Kollegin Caroline Gottschalk mit, so ein Betriebsrat sei schon eine sehr teure Angelegenheit. Der Tietz, so meinte sie, würde sich wirklich Sorgen machen, was da auf die Firma finanziell zukäme. Eventuell müsse nicht nur der Kaffee für die Mitarbeiter gestrichen, sondern sogar Leute entlassen werden. Kaffee streichen, war für Miriam noch tragbar, Leute entlassen dagegen nicht.
Olaf Graf säße jetzt exponiert im Gang, wurde Roland Schmidt in diesem Moment von Wolfram Tietz unterrichtet. Das sei Absicht, man könne das nutzen, falls die Situation weiter eskalieren sollte. Wolfram Tietz erklärte seine Strategie. Er ließe gerade eine Liste erstellen, welche Mitarbeiter die Absicht hätten, zur Betriebsversammlung zu gehen und welche nicht. Da hätte man dann schon mal eine Übersicht über die Sympathisanten. Den Einwand Roland Schmidts, da könnten auch Mitarbeiter dabei sein, die auf der Veranstaltung gegen die Gründung eines Betriebsrates seien, wischte Tietz beiseite. Wer keinen Betriebsrat wolle, ginge da nicht hin. Und falls doch, wäre derjenige selbst schuld, wenn er zum Kollateralschaden würde. Zunächst mal sei es auch noch gar nicht so weit. Die engeren Kollegen von Gottschalk und Co. seien von ihm persönlich über die Problematik eines Betriebsrates informiert worden. Die würden gerade in diesem Moment sicher schon die Interessen der Firma vertreten.
Und in der Tat gab Miriam gerade Caroline Gottschalk ihre neuerlich gewonnenen Bedenken zu Gehör. “Das wird unglaublich teuer! All die Kurse, die die Firma dann für euch bezahlen muss. Das kann hier Köpfe kosten. Dann müssen die anderen mehr arbeiten, nur weil ihr euren Spaß haben wollt. Ihr seid unkündbar, euch kann nichts passieren, aber all den anderen. Hast du eigentlich mal an uns gedacht? All die Praktikanten, die auf eine feste Stelle hoffen. Ihr verbaut denen die Zukunft mit eurem Betriebsrat.”
Caroline war mehr als überrascht über den plötzlichen Sinneswandel Miriams, die bis gestern noch von der Idee einer Interessenvertretung nicht nur begeistert, sondern sich sogar kämpferisch gegeben hatte.
“Lass uns nachher mal reden, ich muss jetzt hier noch was fertig machen”, sagte Caroline mit Blick auf ihren Monitor. Sie wollte etwas Zeit gewinnen, um Argumente zu sammeln, vor allem aber, um sich von der überraschenden Wendung zu erholen. In einer Email an Gregor Bauer und Olaf Graf informierte sie über die Geschehnisse und bat um Rat. Sie hatte das Gefühl, Miriam, die sie doch als so verlässlich eingeschätzt hatte, fiele ihr nun plötzlich grundlos in den Rücken. Das Schweigen im Raum machte unglaublichen Lärm.
In Wolfram Tietz’ Büro war ebenfalls Stille eingekehrt. Roland Schmidt überlegte, nachdem Tietz seinen Plan vor ihm ausgebreitet hatte. “Das bringt die Firma im Ernstfall doch für Wochen völlig durcheinander”, meinte er nach einigen Momenten.
“Hält die Firma aber frei von einer Mitarbeitervertretung”, entgegnete Tietz. Er hatte auf dem Weg zur Arbeit über ein alternatives Wort für Betriebsrat ohne S nachgedacht.
Es klopfte und Sabine Müller steckte ihren Kopf herein. “Soll ich die anderen, die hier noch warten, wieder an die Arbeit schicken?”
“Nein, nein, wir haben die Dinge erledigt. Roland geht gleich. Wir haben fertig.” Tietz war Giovanni Trapattoni für sein s-freies Deutsch-als-Fremdsprache-Missgeschick dankbar.
Roland stand auf. Er war einerseits froh, Tietz zu haben. Andererseits wuchs seine Wut auf Caroline Gottschalk, Gregor Bauer und insbesondere auf Olaf Graf. Auf seinem Weg zurück in sein Büro machte er an dessen Schreibtisch kurz halt.
“Wir machen euch sowas von fertig”, zischte Roland, griff nach dem Zettel mit der genialen Formulierung ‘analog zum Internet’, der noch immer auf dem Schreibtisch neben dem Bildschirm lag, zerriss ihn in kleine Stückchen und warf sie Olaf Graf ins Gesicht. “Du verdienst es nicht, hier zu arbeiten!”
Olaf hatte plötzlich eine Idee, warum Tietz es so viel besser fand, wenn er hier auf dem Gang arbeitete.