Die Betriebsversammlung 18

Sonja hatte bereits einen Plan, in welche Richtungen ihre “Zelle des Widerstands” arbeiten sollte. Sabine Müller sollte sich Olaf Graf vornehmen. Sonja hatte die Idee, mit ihrem weichen Wesen wäre Sabine unter Umständen über die Mitleidsnummer in der Lage, Olaf Graf dazu zu bringen, die Gründung eines Betriebsrates abzusagen. Von Roland Schmidt hatte Sonja die Information bekommen, Olaf sei der Anführer, bei ihm müsse man daher ansetzen, um diese schlimme Katastrophe von der Firma abzuwenden. Um nichts anderes als eine Katastrophe, einen heraufziehenden Weltuntergang handelte es sich für Roland Schmidt inzwischen.
Sonja hatte Roland von ihrem Plan der Bildung einer “Zelle des Widerstands” nichts erzählt. Sie wollte ihn überraschen. Sie malte sich aus, wie beindruckt er wäre, wenn morgen oder vielleicht auch erst in einigen Tagen die Nachricht käme, die Betriebsversammlung sei abgesagt und Roland herausfinden würde, sie wäre der maßgebende Motor gewesen. Sie rechnete sich aus, dann wäre mindestens ein Heiratsantrag drin, wodurch sie auf ihrer persönlichen Karriereleiter eine Stufe emporgeklommen wäre.
Für Sebastian Markus hatte Sonja eine andere, weitaus investigativere Aufgabe. Er sollte beobachten, sollte sich an die Fersen der drei heften, ihnen folgen und jeden ihrer Schritte dokumentieren. Wozu das gut sein sollte, wusste Sonja selbst nicht so genau, sie hatte nur das Gefühl, man mache das so.
“Was soll das bringen?”, war denn auch Sebastians erste Frage.
“Wir warten bis sie einen Fehler machen und dann schlagen wir zu.”
“Ich soll in meiner Freizeit den drei Vollidioten hinterherlatschen? Was machst du denn in der Zeit?” Sebastian war in keiner Weise überzeugt von Sonjas Plan.
“Ich bilde die Einsatzzentrale. Ihr beide informiert mich in kurzen Abständen und ich koordiniere die weiteren Schritte.”
Hätte sie etwas mehr Selbstbewusstsein gehabt, hätte Sabine Müller jetzt gesagt: “Mensch Sonja, du hast einfach zu viele schlechte Krimis gesehen”, denn der Satz schoss ihr für einen Moment durch den Kopf. Sie entschloss sich jedoch den Mund zu halten, in der Hoffnung, dies wäre das letzte Mal, dass sie von Sonja für irgendwelchen Unsinn eingespannt würde. Sie glaubte immer noch daran, eines Tages die Bilder zurück zu bekommen, die sie barbusig, umringt von Männern und glücklich zeigten und für die sie sich schämte. Dass dieser Gedanke einer Rückgabe genauso naiv war, wie Sonjas Idee der Beschattung, blieb Sabine allerdings verborgen.
Es gab noch ein bisschen Diskussion zwischen Sebastian und Sonja, der Plan wurde in einigen Details modifiziert, im wesentlichen aber so beschlossen. Ein Detail, bei dem Sebastian auf eine Änderung bestand, war der Zeitraum der Überwachung.  Sonja hatte an eine permanente Überwachung rund um die Uhr gedacht. Es war Sebastian dann doch noch gelungen, ein gewisses Maß an Rücksicht auf seine Schlafbedürfnisse durchzusetzen. Er würde bis halb elf überwachen, danach hätte er Feierabend. Zwar war Sonja enttäuscht von so viel Selbstsucht und hielt Sebastian eine kleine Rede, in der sie Solidarität mit der Idee und vor allem der Firma einforderte und die Gefahr einer roten Übernahme der SCHOW GmbH durch Gewerkschaften und Kommunisten in dunklen Farben ausmalte, doch schließlich willigte sie ein. Sie würde dann eben ihre Einsatzzentrale auch um halb elf dicht machen.
Als Sonja Wolfram Tietz gegen Feierabend in ihre Pläne einweihte, brach dieser zu ihrer Überraschung nicht in Begeisterungsstürme aus. Im Gegenteil stellte er relativ viele Fragen und war sehr abwägend. Was Tietz durch den Kopf ging, war die Frage, inwiefern Sonjas Aktivitäten mit seinen eigenen interferieren würden. Darüber hinaus überlegte er, ob es rechtliche Konsequenzen haben könnte, wenn herauskäme, Mitarbeiter, die zu einer Betriebsversammlung einluden, würden beschattet. Die Idee der Beschattung hielt Tietz zunächst für ausgemacht dämlich. Reine Zeitverschwendung. Etwas weniger skeptisch stand er dem Plan gegenüber, Sabine Müller auf Olaf Graf anzusetzen. Das konnte unter Umständen etwas bewirken. Sonja beschwerte sich ausgiebig darüber, wie wenig ihr Engagement geschätzt würde. Sie würde die Firma retten und Tietz fiele nichts anderes ein, als Fragen zu stellen. Schließlich sei sie die einzige Mitarbeiterin der Firma, die wirklich motiviert sei und die sich wirklich mit der Firma identifiziere.
“Ein paar andere Mitarbeiter machen auch gute Arbeit”, meinte Tietz daraufhin.
“Aber nur wegen dem Geld und nicht aus Überzeugung!”
Tietz unterdrückte ein Lachen. In diesem Moment hatte er eine kleine Eingebung. Wenn Sonja komplett die Verantwortung für diesen ganzen Überwachungshokuspokus übernehmen würde, wäre er bereit, die Unternehmung zu unterstützen. Es dürfte nur nicht rauskommen. Sonja versicherte Tietz ihre Verschwiegenheit, und natürlich war Sonja bereit, die Verantwortung zu übernehmen, schließlich war die Beschattung ihre Idee. “Verantwortung übernehmen” war in Sonjas Ohren synonym mit “Gewinn abschöpfen”. An die Bedeutung “die Konsequenzen tragen” dachte sie nicht. Tietz war sich nach einem Moment des Nachdenkens inzwischen sicher, der ganze Beschattungsunsinn würde den Druck auf die Graf, Gottschalk und Bauer erhöhen. Damit wäre das Ziel freilich noch nicht erreicht, aber wenn man die Temperatur erhöht, ist das Fleisch schneller gar.

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