Die Betriebsversammlung 22

“Zielpersonen betreten Tom’s Lounge”, schrieb Sebastian an Sonja.
Kurz darauf bekam er eine Nachricht von Sonja zurück. “Das ist eine Schwulenbar. Was machen die da drin?”
“Keine Ahnung! Schwänze lutschen?”, schrieb Sebastian zurück.
“Geh rein und finde es raus!”, kam unmittelbar die Antwort von Sonja.
“Ich gehe doch nicht in eine Schwulenbar! Spinnst Du?”
“Doch! Du gehst da rein und berichtest, was die da machen!”
“Sag mal, hast du sie noch alle? Was soll ich denn in einer Schwulenbar?”
“Beobachten, was da vor sich geht. Bilder machen. Alles was wir brauchen können, um die Betriebsversammlung zu verhindern.”
“Ich gehe da nicht rein! Niemals!”
“Ich bin die Einsatzleiterin und ich befehle dir, da rein zu gehen!”
Sebastian war kurz davor, sein Handy gegen die nächste Hauswand zu werfen. Bis hierhin war es alles ausnehmend spannend gewesen. Die Verfolgung von Olaf Graf und Gregor Bauer hatte ihm bis jetzt ausnehmend viel Spaß gemacht und er hätte sich gewünscht, sie im Auto fortsetzen zu können, um sie zu einer richtigen Verfolgungsjagd auszubauen. Bei welcher Gelegenheit dies der Fall hätte sein können, darüber machte sich Sebastian Markus keine Gedanken. Es wäre einfach toll gewesen, wie im Fernsehen. Er sah sich als seinen eigenen Serienhelden.
Aber jetzt in eine Schwulenbar zu gehen, das war wirklich zu viel. Das war so ziemlich genau das extremste Gegenteil von Heldentum, das er sich vorstellen konnte. Da grabschte ihn womöglich noch jemand an den Arsch. Was sollte er dann tun? Ihm eine reinhauen? In einer Schwulenbar? Weil er an den Arsch gegrabscht wurde? Seine Gedanken überschlugen sich und kreisten darum, dass er auf jeden Fall die Hand von irgendjemandem an seinem Hintern hätte, wenn er diese Bar betreten würde.
“ICH GEHE DA NICHT REIN”, schrieb er an Sonja.
“Warum denn nicht? Was muss ich tun, dass du da reingehst?”
Für Sebastian Markus war unmittelbar klar, in welcher Hinsicht er diese Frage zu verstehen hatte, nämlich als sexuelles Angebot. Doch er war im Moment in keiner Weise für irgendwelche Lockungen und Versprechen zu haben.
“Ich weiß doch, dass du ein richtiger Mann bist und keine kleine Schwuchtel. Dir kann da drin doch gar nichts passieren.” Dieser Satz, den Sonja ihrem eben gemachten Angebot hinterher schickte, traf schon eher den Ton, den es benötigte, um Sebastian dazu zu bewegen, seine Grenzen zu überschreiten.
“Klar bin ich ein richtiger Mann”, schrieb er zurück.
“Ja, da besteht bei dir gar kein Zweifel. Deshalb kannst du da auch reingehen. Da kann doch gar nichts passieren“, wiederholte sie sich.
Sebastian hatte das Gefühl, in eine Falle getreten zu sein.
“Gut, aber nur kurz”, schrieb er nach einigen Minuten Nachdenkens zurück.
“Du bist ein Schatz!”, schrieb sie und dann noch: “Immer schön mit dem Arsch an der Wand bleiben, sonst kriegst du noch was reingeschoben!”, geziert von einem grinsenden Smiley.
“Blöde Fotze”, tippte Sebastian auf seinem Handy, während er die Straßenseite wechselte. Er schickte die Nachricht in dem Moment ab, in dem er die Tür zu ‘Tom’s Lounge’ öffnete. Cindy und Bert besangen gerade Spanische Gitarrren und Sebastian war, als wären alle Augen auf ihn gerichtet, als er die Bar betrat. Ein gut gebauter Mann mit Glatze, Vollbart und weit aufgeknöpften Hemd, das eine imposante Brustbehaarung akzentuierend umrahmte, trat auf Sebastian zu, der die Faust in der Tasche ballte. “Was darf’s sein”, wurde er gefragt.
“Bier”, sagte Sebastian die Faust entspannend und bemüht, einen möglichst abweisenden Ton anzuschlagen. Er suchte nach Olaf Graf und Gregor Bauer. Die Bar war größer als von außen zu erwarten war. Sehr lang gestreckt, recht schummrig und schon jetzt sehr gut gefüllt. Und alle sahen hier recht ähnlich aus. Glatze und Bart war der vorherrschende Stil, alle sahen aus, wie Olaf Graf oder Olaf Graf sah aus, wie alle hier. Sebastian Markus war sich nicht sicher, wie das zu entscheiden sei. Er meinte, Gregor in der gegenüberliegenden Ecke zu erkennen. Sein Pferdeschwanz stach aus der Menge der haarlosen Häupter heraus. Nach einiger Überlegung entschloss sich Sebastian den Weg durch die Menge anzutreten, auch wenn er sich dabei der Gefahr aussetzte, dass ihm jemand an den Arsch griff. Er wollte aus geringerer Entfernung betrachten, was die beiden da trieben. Sie schienen sich mit drei anderen Männern zu unterhalten.
Sebastian postierte sich mit seinem Bier an einem Türrahmen im hinteren Teil der Bar. Von hier aus, war er kaum zu sehen, aber in einem Spiegel, der über der Bar hing, konnte er Olaf Graf und Gregor Bauer gut beobachten.
“Na, so früh schon auf Jagd? Ist aber noch nichts los da drin”, sagte ein Mann mit Glatze und Bart, der in Richtung der Schwingtür nickte, an deren Rahmen Sebastian lehnte.
“Was soll da drin los sein?”, fragte Sebastian zurück.
“Na ficken soll da drin los sein. Stehst doch wohl nicht zufällig am Darkroom, oder?”, sagte der Mann und stützte sich mit seiner rechten Hand am Türrahmen direkt neben Sebastian Kopf ab, während er den Daumen seiner Linken in den Hosenbund steckte. “Sollen wir rein? Darfst mir gerne einen blasen.”
Sebastian sandte einen Fluch in Richtung Sonja Zand.

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