Javier 8

Javiers Drogenkarriere begann früh. Früher als er selbst wusste. Alkohol trank Javier seit er zwölf war, zeitgleich hatte er angefangen Cannabis zu rauchen. Das wusste er. Seinen ersten Speedball zog er sich mit dreizehn durch die Nase und war von der Wirkung beeindruckt. Das Heroin drückte ihn nach unten, das Kokain zog ihn nach oben. Nie gekannte Euphorie und Lebensfreude hämmerte von innen gegen seinen Kinderschädel, als wolle sie ein Loch einschlagen, um hinaus in die Welt zu tanzen. Auch an dieses Erlebnis konnte er sich sehr gut erinnern, denn es hatte ihn geprägt. Was er nicht wusste, war, dass er bereits mit acht Jahren auf den Weg in die Abhängigkeit geführt worden war. Von seinen Eltern weitgehend sich selbst überlassen, verlebte Javier die meiste Zeit seiner jungen Existenz bei seiner Großmutter in einem großen Latinoghetto in einer großen amerikanischen Stadt. Die Zäune um die Häuser waren ebenso hoch wie die Angst der Bewohner vor Gewalt und Kriminalität groß war. Wie alle ihre Nachbarn hatte auch Javiers Großmutter dieses unglaublich tiefe Bedürfnis nach Ruhe und Frieden. Dieses Bedürfnis wurde in der Realität ihrer Welt jedoch nicht gestillt. Daher blieb ihr nur die Flucht. Javiers Großmutter floh mit Pillen, die ihr in großzügigen Verpackungseinheiten ein Arzt verschrieb, der wusste, wie man Furcht und Angst zu Geld machte. Er war ein angesehener Mann in der Nachbarschaft. Obwohl sie aus der fernen Schweiz kamen, waren die Tabletten, die der angesehene Arzt verschrieb, für Javiers Großmutter erschwinglich. Nach dem Mittagessen zwei Valium und zum Schlafen nochmal eine ließen Großmutter alle Sorgen und Ängste vergessen. Javier, der durch seine inzwischen zahlreichen Missbrauchserlebnisse deutliche Verhaltensauffälligkeiten zeigte, beständig quengelte, Ansprüche stellte, oft drohte und jähzornig wurde, schließlich schmeichlerisch Geschenke forderte, für die er sich mit Handlungen zu revanchieren versprach, von denen seine Großmutter wusste, dass ein Kind von derartigen Handlungen noch nichts wissen sollte, all dies sorgte im Leben seiner Großmutter für ein Maß an Unruhe, das sie nicht schätzte. Doch statt den Auffälligkeiten nachzugehen, zu fragen und einzuschreiten, griff sie zum bewährten Mittel. Nach dem Mittagessen gab es für Javier künftig eine Valium, die ihn und damit auch seine Großmutter befriedete. Die von Javiers Großmutter so geschätzte Stille war wieder hergestellt, das Problem in ihren Augen damit gelöst. Bereits nach zwei Wochen erschien der kleine Javier immer pünktlich zum Mittagessen und wurde zum jähzornigen Tyrannen, wenn es eine Verzögerung gab. Er war acht und er war süchtig. Die Gier hatte ihn gefangen genommen und würde ihn sein Lebtag nie wieder in die Freiheit entlassen.

 

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