Heute hat Lars Mährholz, der Initiator der Mahnwachenbewegung Geburtstag. Ich wünsche ihm von Herzen alles Gute.
Die Frage, was ihn bewogen habe, die erste Mahnwache abzuhalten, hat Lars Mährholz immer gleich beantwortet. Am Anfang stand das eigene Erstaunen. Auf die Frage, “warum geht eigentlich niemand auf die Straße”, wusste Lars Mährholz keine Antwort. Es gab und gibt täglich mehr Gründe, auf die Straße zu gehen, etwas zu tun, seinen Protest und Widerstand zu zeigen. Dennoch bleibt es merkwürdig ruhig. Überall droht Krieg, ist schon Krieg, soll wieder Krieg werden, überall ist schon Chaos und Zerfall oder droht der Rückschritt. Hier bei uns, woanders, überall auf der Welt zerfallen die Werte Freiheit, Ebenbürtigkeit und Gemeinschaft zugunsten von Opposition, Konkurrenz, Unterdrückung und Ausbeutung. Und das Gefühl, als wären wir, der sogenannte Westen, an eine Grenze gestoßen und würden nun an unseren eigenen Widersprüchen zugrunde gehen, geht um unter den Menschen wie ein Grauen, das schwer auf der Gegenwart lastet.
Lars Mährholz hat das gespürt. Vor allen Worten und Begriffen hat er das Unbehagen gespürt und war dann mit sich selbst konsequent. Er ist auf die Straße gegangen und hat ganz unbeabsichtigt mit diesem Schritt eine neue Bürgerbewegung, eine neue Bewegung für den Frieden begründet. Dafür möchte ich ihm danken.
Jeden Montag trafen sich immer mehr Menschen an immer mehr Orten, die das Gefühl des Unbehagens teilten. Ganz organisch wuchs eine Bewegung heran.
Was dann folgte war ein Gang durch die mediale Hölle. Es wurde Lars Mährholz und der neuen Friedensbewegung so ziemlich alles Vorgeworfen, was in dieser Republik als widerlich gilt. Nazis seien sie alle, Antisemiten, rechte Esoteriker. Die Fachkräfte des Feuilletons witterten geheime Codes, die nur sie selbst zu entschlüsseln in der Lage waren. Es wurden in den öffentlich-rechtlichen Medien Verschwörungstheorien über die Mahnwachen herumgereicht. Von rechts unterwandert seien sie, von den Russen unterwandert seien sie, von Putin würden sie finanziert! Keine noch so abstruse These, die nicht hätte vorgebracht werden dürfen. Und immer wieder wurde Lars Mährholz persönlich diffamiert. Dafür möchte ich mich entschuldigen, denn diejenigen, die sich entschuldigen müssten, werden es nicht tun. Sie verdienen mit Diffamierung ihr Geld.
Die Bewegung entzog sich einer schnellen Einordnung, hatte aber dennoch einen Nerv getroffen, denn in den ersten Wochen wuchs sie trotz aller medialer Verunglimpfung rasend schnell.
Dabei hätte ein kurzer Blick auf den Ursprung genügt, um zu Klarheit über die Bewegung zu kommen. Zuhören hätte genügt, und man hätte wissen können, was hier die treibende Kraft ist. Die Bewegung der Mahnwachen ist nicht links, sie ist auch nicht rechts, sie ist auch nicht Querfront. (Ein völlig unsinniger Begriff übrigens).
In ihrem Kern ist die Bewegung anarchisch. Sie wird getragen von einem Geist, wie ihn der Philosoph Simon Critchley in “Mystischer Anarchismus” und “Unendlich fordernd. Ethik der Verpflichtung, Politik des Widerstands” beschreibt. Es ist ein Erwachen, das am Anfang steht, ein Weltwissen, das sich plötzlich erschließt. Keine lang antrainierte Theorie und Sprache, kein durch Bücher erworbenes Wissen ist die Ursache. Am Anfang steht eine individuelle Erfahrung, ein Erstaunen, das herauslöst aus der Masse. Lars Mährholz hat in all seinen Interviews genau diese Erfahrung beschrieben. “Warum tut niemand etwas? Warum geht niemand auf die Straße, obwohl alles aus dem Ruder läuft.” Niemand hat ihm zugehört in dem Wahn in unmittelbar in ein rechts-links-Schema einordnen zu müssen. Peinlich für die deutsche Journaille und die linken Systemstabilisierer.
Ken Jebsen forderte, die Bewegung der Mahnwachen müsse eine spirituelle Bewegung werden. Dass musste er gar nicht, denn sie ist es schon. Es braucht keine alten Modelle, es braucht ein Erwachen. Es gilt, das Erstaunen über die Absurdität und Grausamkeit unserer Welt, unserer Gemeinschaften und unserer Lebensstile zu wecken. Es geht darum, fernab von vorgefertigten Ideen und Modellen einen Raum für Entwicklung zu stiften. Es geht um die Entwicklung einer Ethik aufgrund unseres Erstaunens über uns selbst und der Art unseres Zusammenlebens.
Vor zwei Wochen erklärte Lars Mährholz seinen Abschied. Er wolle zurücktreten, noch im Hintergrund aktiv sein, aber nicht mehr das Gesicht der Mahnwachen sein. Das ist kein Verlust, es ist konsequent. Lars Mährholz schenkt der Welt eine Bürgerbewegung, deren Ziel nichts geringeres als der Weltfrieden ist. Er schenkt ihr eine Bewegung, die immer zum Mitmachen einlud, die nie Führer und Gesichter haben wollte. Und er schenkt ihr einen im Kern offenen, freien, anarchischen Organismus, der sich entwickeln wird. Es braucht nun uns, die Bürger, damit er sich entwickeln kann. Seid erstaunt über die Absurdität eures Lebensstils. Seid erstaunt darüber, dass für eure Party Menschen hungern, dass für euren Lebensstil Kriege geführt werden müssen. Seid erstaunt darüber, dass dieser Lebensstil euch weder glücklich noch frei macht. Seid erstaunt darüber, wie ihr in den Momenten, in denen ihr entsagt, euch entzieht, plötzlich Glück und Freiheit erlebt. Seid erstaunt darüber, wie alles darauf ausgerichtet ist, euch einzulullen und in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen. Wenn ihr dieses Erstaunen teilt, seid ihr auf dem richtigen Weg. Dann habt ihr den Geist der Mahnwachen in euch. Denn dann habt ihr erkannt: Nichts ist okay. Wir müssen einen Weg finden und es zum Guten richten! Wir alle, gemeinsam.
Danke, Lars!