Die Kynast-Dialoge. 5. Teil

Der Qualitätsjournalist und Hauptstadtkorrespondent Kynast und ich hatten außer einer Auseinandersetzung über seine Propaganda in Bezug auf ein angeblich durchweg homophobes Russland in dem Schwulen der Zugang zu Kunst und Kultur verwehrt wird noch eine Auseinandersetzung in Bezug auf Makroökonomie, sowie die Darstellung und Bewertung von wirtschaftlichen Krisen in den Medien. Darum soll es heute noch nicht gehen. Diese Auseinandersetzung wird zu einem anderen Zeitpunkt Thema werden.

Was in dieser Diskussion jedoch für einen Moment aufblitzte, war das Selbstverständnis Kynasts. Laut Kynast bilden die Medien Debatten ab. Kynast teilte mir mit, die Debatten werden an Hochschulen geführt, in den Plenarsälen und sonst wo. Das ist natürlich irgendwie richtig. Allerdings sind diese Debatten nur dann gesellschaftlich relevant, wenn sie in den Medien erscheinen. Je breiter sie erscheinen, desto wichtiger werden sie.

Wenn in allen Zeitungen und in jeder Talkshow der Republik täglich AfD und Flüchtlinge zum Thema gemacht werden, dann ist es völlig schnurz, dass in den allermeisten Hörsälen der Republik AfD und Flüchtlinge überhaupt kein Thema darstellen. Es werden eben nicht alle Debatten gleichmäßig abgebildet, sondern nur einige und diejenigen, die abgebildet werden, werden dann noch unterschiedlich gewichtet. Die Auswahl ist auch in keiner Weise willkürlich, sondern folgt einem Muster.  Dazu muss übrigens niemand zu Herrn Kleber in die Redaktion kommen und ihm sagen, was er sagen darf und was nicht. Herr Kleber wäre gar nicht in der Redaktion wüsste er das nicht von ganz alleine.  Aus diesem Grund war das kleine Statement Klebers zu seiner Berichterstattung auch so zum Fremdschämen peinlich.  Weder Kleber noch Kynast scheinen sich jemals mit so etwas wie Struktur oder System auseinandergesetzt zu haben.

Das darf nicht sein,  das ist tatsächlich ein großes Defizit.  Denn strukturelles und systemisches Wissen gehört gleichsam zum Grundwortschatz all jener, die einen Zugang zu Themen haben wollen, die über die Berichterstattung von Einzelschicksalen hinausgehen. In den Themenbereichen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft kommt man ohne strukturelles und systemisches Denken nicht weit. Allerdings ist ja das auch genau das Problem von Kynast.

Doch noch einmal zurück zu den Debatten, die nach Kynast Medien ausschließlich abbilden: Wir hätten keine Medienkrise wäre nicht mit dem Internet eine Debatte über diese Mainstream-Debatten möglich geworden.  Plötzlich können sich die vormaligen Konsumenten breit verständigen und werden so selbst zu Akteuren. Da hat sich in den sozialen Netzwerken gezeigt, wie einseitig und unausgewogen die in den Medien abgebildete Debatte ist. Der Mainstream, also Leute wie Kynast sind auch nicht in der Lage, das zu korrigieren. Im Gegenteil so auf frischer Tat beim einseitigen Berichten erwischt, setzt dann in einer Art Flucht nach vorn die Publikumsbeschimpfung ein.  Es mangelt da an grundlegender Reflexion, ja sogar an der grundlegenden Bereitschaft dazu.

Für den Großteil der Menschen ist der Mainstream eben nicht eine abgebildete Debatte oder der Ausschnitt einer Debatte. Er ist die Debatte selbst. Das, was dort gesagt wird, ist das gesamte Spektrum der Meinungen. Darüber hinaus gibt es nichts. Und dieses Spektrum ist in Deutschland verdammt eng.

Kynast mag sich als Kind von DDR-Dissidenten irgendwie im Recht fühlen mit seinem Russland-Bashing, das er dann auch hier im Tweet wieder betreibt. Allerdings wird das den Fakten nicht gerecht. Denn die von ihm imaginierte Sowjetunion, an der er sich offenkundig immer noch abarbeitet, gibt es schon lange nicht mehr, hat es vermutlich so wie er sich das vorstellt nie gegeben. Die Breite des Sagbaren allerdings ist im gegenwärtigen Russland deutlich weiter gesteckt als in der Bundesrepublik. Es wäre schön, Kynast und die Seinen würden endlich mal im 21. Jahrhundert ankommen. Das läuft jetzt immerhin schon ein paar Jahre.

Es wäre dann noch schöner, er würde mal ganz grundlegend über Medien, ihre Macht und Bedeutung in modernen Gesellschaften nachdenken. Vielleicht reicht die Zeit eines vielbeschäftigten Hauptstadtkorrespondenten für ein bisschen Lektüre. Als Einstieg in das komplexe Thema sei dann Walter Lippmanns „Public Opinion“ empfohlen. Man muss sich auch gar nicht mehr durch die englische Sprache quälen, seit Kurzem gibt es das Werk auch auf Deutsch.

Kynast ist für einen Journalisten erschreckend naiv. Konzerne geben doch nicht deshalb Unsummen für PR und Lobbying aus, NGOs laden doch nicht deshalb kostspielig Journalisten ein, es wird doch nicht deshalb über die Besetzung der Gremien bei den Öffentlich-Rechtlichen bis aufs Messer gestritten, weil in den Medien lediglich Debatten abgebildet werden. So naiv kann doch kein Mensch sein, das zu glauben.

Aktuell finden in den deutschen Medien die China-Bashing-Wochen statt. Wer von uns weiß schon, was in China tatsächlich passiert? Wer kann nachzeichnen, wie die gesellschaftlichen Dynamiken verlaufen und wie sie sich entwickeln werden? Wer hat eine Ahnung davon, welche Diskurse in China tatsächlich geführt werden? Alles, was wir über China zu wissen glauben, erfahren die allermeisten von uns aus den Medien. Und dennoch trauen sich die meisten von uns zu, eine Meinung über China zu haben.  Trauen sich zu, authentisch empört zu sein über Zensurmaßnahmen und Umerziehungslager für Uiguren.

Doch dieses Wissen ist  vermittelt, auch wenn unsere daraus resultierende Empörung über China dann schließlich echt ist. Aber genau das ist die Gefahr.  Es geht weniger um eine wahrheitsgemäße, differenzierte Information über China. Es geht um die erzeugte Empörung. Ich wäre daher vorsichtig, denn wie sich rückblickend stets erwies, ist das vermittelte Bild absichtsvoll einseitig.

Wenn wir ehrlich sind, haben wir zu vielen Themen keine eigene Meinung. Wir plappern nur nach. Wir plappern nur nach, was Leute wie Kynast uns vorplappern.  Ich persönlich halte das für keine gute Idee.  Denn Leute wie Kynast haben oftmals schon von dem, wovon sie sprechen, keine Ahnung, folgen einfach nur dem, was opportun ist. Von dem, was sie tun und warum sie dort sind, wo sie sind, haben sie aber erst recht keinen blassen Schimmer.

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